Wochenduell der BaZPasst die Formel 1 noch in die heutige Gesellschaft?
In Zeiten von Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Ressourcenknappheit: Ist es da noch richtig, überall auf der Welt umherzureisen, um auf Rennstrecken mit Verbrennungsmotoren herumzudüsen?

Ja, der Sport erfreut sich immer noch grosser Beliebtheit und trägt auch Positives zum Thema Nachhaltigkeit bei.
Damit die Formel 1 als Anachronismus gesehen werden könnte, müsste sie an Zuschauerschwund leiden.
Zwar sind die glorreichen Zeiten eines James Hunt auf der Strecke und von Brigitte Bardot in den Rängen definitiv längst vorbei. Doch auch in den letzten Jahren erfreute sich die Formel 1 immer noch einer konstant grossen Anhängerschaft. Sei es aufgrund der neuen Rennen wie in den USA oder wegen der erfolgreichen Netflix-Dokuserie «Drive to Survive»: Die Fans sind noch immer zahlreich – und sie möchten weiterhin eher Formel 1 schauen als der Umweltverschmutzung Einhalt gebieten. Ganz egal, was dabei in die Luft geblasen oder in welchem (Unrechts-)Staat gerade Runden gedreht werden. Es ist also ein bisschen wie bei der Fussball-WM in Katar. Für die breite Masse an Fans bleibt der Sport die Priorität vor den verursachten Umweltproblemen.
Der Motorsport als Unterhaltung entspricht sicherlich nicht den Vorstellungen der «Letzten Generation», die gerade an irgendeiner Strasse klebt. Doch welche Unterhaltungsbranche tut das denn schon? Ist es auch vorbei mit globalen Filmpremieren für Direktor James Cameron, der sich für die Umwelt vegan ernährt? Die Sängerin Billie Eilish stimmte einer Kollaboration mit dem Modehaus Oscar de la Renta nur zu, wenn es von nun an Kunstpelz verwendet – doch die eigene Welttournee wird trotzdem fortgeführt. Unterhaltung ist immer mit einem beachtlichen ökologischen Fussabdruck verbunden. Vorheucheln kann man also getrost Hollywood und Lewis Hamilton überlassen.
Darüber hinaus muss man der Formel 1 ihre Bemühungen zur Reduktion von Emissionen zugutehalten. Nicht nur hat sich der Rennzirkus Ende letzter Saison zur Netto-null-Ökobilanz bis 2030 verpflichtet, sondern haben sich die Motoren über die Jahre hinweg auch drastisch verkleinert. Alles für einen nachhaltigeren, zeitgemässen Sport. Dies ist für die fanatischen Fans, die auch gerne mal ihren Herzschlag in der Oktanzahl messen, ein Sakrileg. Doch die Formel 1 arbeitet an ihrem Image und weiss zudem mit Innovation den Sport stets zu verbessern.
Die Technologie, die für diese Rennboliden entwickelt wird, landet am Ende in den Autos des Alltags. Es geht dabei längst nicht mehr nur um Sicherheit, sondern auch um Energieeffizienz. Dass man dabei als Verbrennermotor-Wanderzirkus selbst einiges an Emissionen produziert, wird vom positiven Effekt übertroffen, den das stete Streben nach Fortschritt auf die Umweltverträglichkeit der in Massenproduktion hergestellten Autos hat. Womit Johnny Polarbär sich eigentlich glücklich schätzen darf, dass es den Motorsport auch weiterhin geben wird. Max Mäder
Nein, Männer in ultraschnellen Karren, die Champagner versprühen und die Umwelt verpesten, gehören nicht ins Jahr 2023.
Was ist heute zeitgemäss? Vieles. Klimapolitik, Menschenrechte, genaues Hinsehen, Stellung beziehen.
Und was schreibt sich die Formel 1 davon auf die Fahne? Nichts. Sie lässt ihre Fahrer in Hochleistungs-Verbrennermotoren durch die Wüste Katars brettern und tritt damit alle eben genannten Punkte mit einem einzigen, grossen Fuss. Da würde man sich doch im Jahr 2023 etwas mehr Feingefühl und Engagement erhoffen.
Nur ein Vorschlag: Die Logistik, also in erster Linie das Reisen, macht über 70 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen der Formel 1 aus. Laut Angaben der Formel 1 betrugen diese im Jahr 2019 256’000 Tonnen. Die FIA hätte längst ihren Rennkalender so anpassen können, dass die Wege möglichst kurz, die Emissionen also möglichst klein werden. Tat sie nicht. Sie lässt den Rennzirkus von Saudiarabien nach Australien und dann wieder nach Aserbaidschan reisen. Warum in dieser Reihenfolge, weiss keiner.
Klar. Zu behaupten, die Formel 1 kümmere sich nicht um den Zeitgeist und sähe tatenlos dabei zu, wie die Welt untergeht, wäre falsch. Sie hat sich zum Beispiel zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden. Dann hat sie die umstrittenen «Grid Girls» abgeschafft, und immer wieder sieht man bei den Rennen eine Regenbogenfahne, mit der sich die Fahrer solidarisch mit der LGBTIQA+-Community zeigen.
Aber irgendwie reicht es dann eben doch nicht, um zeitgemäss zu sein. Denn die ganz grosse Strahlkraft bezieht die Formel 1 noch immer aus derselben Quelle wie vor einem halben Jahrhundert. Dieser Sport vermittelt unverändert das Bild des waghalsigen Tausendsassas, der in einer ultraschnellen Karre sein eigenes Leben und alles drum herum dem Sieg unterordnet und nach getaner Arbeit auf einem Podest Champagner versprüht.
Das ist so gar nicht 2023.
Trotzdem schauen noch immer unfassbar viele Menschen dabei zu und idealisieren diese Männer. Wie will man diesen Leuten vermitteln, dass es für den Planeten von Vorteil wäre, mal das Auto stehen zu lassen oder mit Ressourcen sparsam umzugehen? Das wird kaum einer einsehen, dessen Vorbild Formel 1 fährt.
Es geht nicht darum, dass der Motorsport sämtliche Probleme dieser Welt mit eigenen Händen lösen soll. Aber um wieder zeitgemäss zu werden, muss die Formel 1 ihr Image ändern. Und zwar so, dass sie etwas ausstrahlt, was mehr ist als nur Wagemut und Siegen um jeden Preis. Linus Schauffert
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