
Thomas Matter deswegen gleich als «Totengräber des eidgenössischen Parlaments» auszurufen, wäre nun wohl zu viel gesagt, und doch fing der 50-jährige SVP-Nationalrat, gebürtig in Sissach BL, am Mittwoch während der Nationalratsdebatte zur Masseinwanderungsinitiative – vom Schweizer Volk am 9. Februar 2014 mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen – mit einer Mode an, die neu ist in unserer Demokratie, dem Filibustering nämlich – der Zerstörung aller Ansätze einer vernünftigen Debatte durch fusselige Dauerrede also –, und zwar mit einer auf gewisse Betrachter ein wenig heimlifeiss wirkenden Frage an seinen Fraktionschef Adrian Amstutz, die etwas holperte («Ist dieser anstehender Verfassungsbruch einmalig...»), worauf Amstutz etwas unspontan «Das ist wirklich eine gute Frage!» sagte – vermutlich weniger der Form halber als wegen des Inhalts – und zu einer Antwort ausholte, um danach von weiteren SVP-Kollegen weitere Fragen gestellt zu bekommen und so vor den Augen wie Ohren der grossen Kammer sowie des Fernsehpublikums das Kontinuum namens «Zeit» auf eine üblere Weise zu zerhacken als es angeblich einst die groben Bauernsöhne vom Morgarten mit den edlen Rittern aus Österreich taten – was uns ohne weitere Umschweife, die Ihre wertvolle Zeit bis zur Lektüre des nächsten Texts unnötig verlängern würden, auf den historischen Aspekt der brandneuen taktischen Einlage der Schweizerischen Volkspartei, gegründet 1971, bringt: «Filibustering» – ursprünglich abgeleitet vom Niederländischen «Vrijbuiter», was «Freibeuter» oder «Pirat» heisst und somit auf das leicht augenklappenhaft Anrüchige dieser Taktik verweist – klingt zwar nach billigem Reality-TV, ist in Tat und Wahrheit aber schon eine ältere Masche, derer sich bereits Cato der Jüngere – der sich 46 vor Christus selber erstochen hat, nachdem er dummerweise Streit mit Julius Cäsar gesucht hatte – bedient haben soll, um eine Landreform, die Lex Iulia Agraria, zu verhindern, die im Senat bis Sonnenuntergang beschlossen sein musste, weshalb Cato der Jüngere sehr lange redete, worauf bei Julius Cäsar (100 bis 44 vor Christus) sozusagen die Sicherungen durchbrannten und er Cato den Jüngeren in den Kerker werfen liess, was dann jedoch einige öffentliche Empörung auslöste – Cato der Jüngere wurde also reichlich belohnt für seine pionierhafte Dauerrede, die in den Jahrhunderten darauf immer wieder kopiert werden sollte, so etwa im britischen Parlament des 19. Jahrhunderts, wo irische Nationalisten den permanenten Wortschwall erfolgreich nutzten, um ihre marginalisierten Positionen und Themen aufzublasen, oder im österreichisch-ungarischen Parlament 1897, wo ein gewisser Mark Twain eine Rede des Politikers Dr. Otto Lecher sah und hörte, die sage und schreibe zwölf Stunden dauerte – «die längste ununterbrochene Rede, die je aus dem Mund eines Mannes kam seit Weltbeginn», schrieb Twain in seinem Bericht «Aufwühlende Zeiten in Österreich» –, oder in jüngerer Zeit im kanadischen Parlament, wo diverse Sozialisten 2011 mit einer 58-stündigen Dauerrede eine Tradition fortführten, die nun auch in der Schweiz angekommen ist – wobei findige Geister bereits am Mittwoch bemerkten, dass es sich beim zeitfressenden SVP-Trick keineswegs um klassisches Filibustering gehandelt habe, sondern um vielmehr einen «Dixer», benannt nach einer Kolumnistin, die sich selber Fragen zu stellen pflegte, worauf australische Hinterbänkler ebenfalls damit anfingen, um ihre Bosse in besserem Licht erscheinen zu lassen –, klar ist jedenfalls, dass diese Taktik der Horror ist für jeden seriösen Politiker, wobei die Anforderungen des wahren Filibusterings auch Bewunderung über die quasi-sportliche Leistung hervorrufen kann, so sagte Twain über Lecher, dass wohl nur wenige Männer in der Lage seien, ein solches verbal-physisches Kunststück zu wiederholen – und wenn Sie diese Glosse jetzt nochmals 359-mal lesen, werden Sie das vielleicht sogar nachvollziehen können...
Ohne Punkt, mit Komma
Wegen der SVP gehört das Filibustering nun auch zur Schweizer Politik. Die Gegenrede.