«Offenbar hat die Swiss traditionelle Werte»
Binh Tschan von der Zürcher Fachstelle für Gleichstellung über die Schminkpflicht bei Airlines und den Grund, weshalb sich Frauen nicht wehren.
Frau Tschan, neu wird für Flugbegleiterinnen der Airline Virgin Atlantic der Make-up-Zwang aufgehoben. Die Schweizer Fluggesellschaft Swiss hält weiter am Lippenstiftzwang fest. Darf sie das?
Arbeitgebende können Vorschriften erlassen, auch zur Bekleidung und zum Erscheinungsbild am Arbeitsplatz. Aber: Diesem Recht sind beispielsweise durch das Gleichstellungsgesetz Schranken gesetzt. So verbietet etwa Artikel 3 des die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmenden aufgrund ihres Geschlechts.
Gibt es Ausnahmen?
Ausgenommen sind lediglich solche Fälle, in denen sachliche Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung bestehen. Wird von Frauen verlangt, Make-up oder enge Kleidung zu tragen, von Männern aber nicht, ist das eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung. Dasselbe gilt für Männer, die keine langen Haare tragen dürfen gegenüber Frauen, denen das erlaubt wird. Solche Ungleichbehandlungen müssen gemäss Gesetz sachlich gerechtfertigt sein.
Wann sind sie das?
Die Arbeitgeber müssen sachliche Gründe nennen, wieso diese Vorschriften, welche Männer und Frauen unterschiedlich behandeln, eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen. Solche Gründe zu finden, erscheint mir im Fall von Make-up schwierig, da es sich hier um traditionelle Zuschreibungen handelt: Frauen sollen geschminkt sein, weil nur geschminkte Frauen als «gepflegt» gelten.
Wie rechtfertigt man Schminkvorschriften?
Vordergründig erscheint mir eine angeordnete Schminkpflicht, die klar eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts darstellt, durch keine sachlichen Gründe gerechtfertigt. Insbesondere nicht mit dem Argument der Corporate Identity oder traditionelle Rollenbilder.
Die Swiss darf Frauen also nicht vorschreiben, sich schminken zu müssen?
Das ist eine Auslegungsfrage, was sachliche Rechtfertigungsgründe sind. Unbestritten handelt es sich beim Schminkzwang tatsächlich um einen Fall von geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung, weil er eben nur Frauen trifft. Sicherlich wird aber die Arbeitgeberin mit der Corporate Identity und traditioneller Rollenbilder argumentieren. Etwa dass die Gewohnheit, Make-up zu tragen, bei Männern und Frauen nach wie vor unterschiedlich ausgeprägt sei.
Die Swiss argumentiert in diesem Punkt tatsächlich mit einem «gepflegten Erscheinungsbild» des Unternehmens. Wie weit darf Corporate Identity gehen?
Es kommt auf den Zeitgeist an. Ist etwas Teil einer Corporate Identity, muss man sich fragen: Welche Werte herrschen bei uns in der Gesellschaft vor? Offenbar sind es bei der Swiss traditionelle Werte. Andere Fluggesellschaften oder Unternehmen sagen dagegen, Schminkpflicht für Frauen passe nicht mehr in die heutige Zeit.
Wie können sich Frauen und auch Männer gegen solche Vorschriften wehren?
Wichtig ist, das Thema mit der Arbeitgeberin zu besprechen und sich gut auf ein solches Gespräch vorzubereiten. Unterstützung bieten kann eine Fachstelle für Gleichstellung, ein Personalverband oder eine Ombudsstelle. Die Schlichtungsbehörde bietet in diesem Fall einen einfachen Zugang zum Recht. Das Verfahren vor der Schlichtungsbehörde ist kostenlos.
Wehren sich viele auf diesem Weg, allenfalls bis vor Gericht?
Wer sich wehrt, muss sich exponieren. Die Leute haben Angst, bei der Arbeit als Querulantinnen oder Querulanten zu gelten oder fürchten gar einen Arbeitsplatzverlust. Und dennoch: Wenn Betroffene diesen Weg gehen können, ist er sinnvoll. Aus Fällen von Lohndiskriminierung sowie sexueller und sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz ist bestens bekannt, dass sich Arbeitnehmende auf das Gleichstellungsgesetz stützen können – das Gesetz gilt seit 1996. Das dort verankerte Diskriminierungsverbot gilt für die gesamte Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses inklusive Anstellung, Entlöhnung, Beförderung, Aufgabenzuteilung, Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. Unter letzteres fallen auch die Kleidervorschriften. Das ist vielen nicht bewusst. Das muss sich ändern.
Hätte also eine Flight Attendant der Swiss Chancen vor Gericht, wenn sie sich gegen den Lippenstiftzwang wehrt?
Meines Wissens gibt es zu dieser spezifischen Thematik in der Schweiz keine Gerichtspraxis. Ich kann Ihnen also nicht garantieren, dass in einem Streitfall das Gericht die Ungleichbehandlung ähnlich beurteilt.
Was tun Sie als Fachstelle, um Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz zu bekämpfen?
Wir beraten in der Stadt Zürich wohnhafte oder arbeitende Personen und Institutionen und Unternehmen und vermitteln in Diskriminierungsfällen. Wir bieten Weiterbildungen an, auch zum Gleichstellungsgesetz und den darin behandelten Diskriminierungsformen: sexuelle und sexistische Belästigung, Lohngleichheit etc. Den Mitarbeitenden soll klar sein, dass sie Rechte haben. Das Gesetz ist in allen Bereichen im Erwerbsleben anwendbar, auch bei Kleidervorschriften. Betroffenen Arbeitnehmenden raten wir, das Gespräch mit ihren Arbeitgebenden zu suchen. Wir sehen: Ein Umdenken kann stattfinden. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung.
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