Obama treibt die Schliessung von Guantanamo voran
Präsident Obama gibt das Dossier Guantanamo an den Anwalt Clifford Sloan ab. Offenbar soll der Jurist die Arbeiten zur Schliessung des Lagers wieder aufnehmen. Über hundert Häftlinge dort sind im Hungerstreik.
US-Präsident Barack Obama will laut Informationen aus Regierungskreisen einen angesehenen Anwalt mit der Schliessung des US-Gefangenenlagers Guantánamo in Kuba betrauen.
Clifford Sloan soll die im Januar ausgesetzte Arbeit zur Schliessung des umstrittenen Lagers wieder aufnehmen, wie die Nachrichtenagentur AP aus informierten Kreisen erfuhr. Die offizielle Ernennung Sloans wurde für Montag erwartet.
Sloan hat sowohl unter demokratischen als auch republikanischen Regierungen wichtige Verwaltungsposten bekleidet. Derzeit ist er Partner in einer Anwaltskanzlei in Washington. In den vergangenen Jahren war ein informeller Berater von Aussenminister John Kerry, der Sloan den Angaben zufolge für den Posten vorgeschlagen hatte.
104 von 166 Insassen sind im Hungerstreik
Seit mehr als drei Monaten schon fordern Gefangene in Guantanamo Bay das US-Militär mit einem Hungerstreik heraus. Bis zu 43 Häftlinge werden jeden Tag auf speziellen Stühlen angeschnallt. Durch die Nase wir ihnen eine Sonde in die Speiseröhre gesteckt, dann werden sie zwangsernährt.
Der Hungerstreik hat sich stetig ausgeweitet, mittlerweile beteiligen sich 104 der 166 Gefangenen in dem US-Lager auf Kuba daran. Die Lage hat sich derart zugespitzt, dass Präsident Barack Obama unlängst sein Ziel bekräftigt hat, «Gitmo» zu schliessen. Das hatte er bereits kurz nach seiner Amtsübernahme 2009 versprochen. Er war dann aber am Widerstand des Kongresses gescheitert, der keine terrorverdächtigen Gefangenen auf US-Boden verlegt haben will.
Solange aber nichts in dieser Richtung geschieht, die Häftlinge weiter zumeist ohne Anklage, geschweige denn Prozess festgehalten werden, bleibt die Lage in «Gitmo» kritisch. Ein früherer Gefangener ist ein Beispiel dafür, dass ein Hungerstreik ein offenes Ende haben - so wie die Gefangenschaft selbst, deren ungewisse Dauer im Kern der Auslöser der Hungerstreikwelle ist.
Gewaltsam aus der Zelle geholt
Die Häftlinge, die aktuell im Hungerstreik sind, dürfen nicht mit Journalisten sprechen. Aber Ahmed Zuhair kann es. Bevor er 2009 aus «Gitmo» nach Saudiarabien entlassen wurde, haben er und ein Mitgefangener dem US-Militär vier Jahre lang mit einem Hungerstreik die Stirn geboten. Das ist eine Rekorddauer.
Das Militär gibt zu, dass ein Team von Wärtern ihn wiederholt gewaltsam aus seiner Zelle holte, wenn er sich weigerte, freiwillig dahin zu gehen, wo streikende Häftlinge zwangsernährt wurden. Zuhair sagt, seine Nasenschleimhäute und sein Rücken seien dauerhaft durch den Nasenschlauch und das Anschnallen geschädigt worden.
Aus Gerichtspapieren geht hervor, dass Zuhair einmal innerhalb von vier Monaten 80 Mal gegen die disziplinarischen Vorschriften verstiess, darunter die Verweigerung der Zwangsernährung. Und er und Mitgefangene beschmierten sich fünf Tage lang mit ihren eigenen Exkrementen, um Wärter fernzuhalten und gegen ihre raue Behandlung zu protestieren.
Schafhändler aus Saudiarabien
Zuhair ist ein ehemalige Schafhändler, in seinen sieben Jahren in Guantanamo wurde er niemals angeklagt. Im Juni 2005 begann sein Hungerstreik, und er blieb dabei, bis er 2009 in seine Heimat Saudiarabien geschickt wurde. Heute 47 Jahre alt, lebt er mit seiner Frau und Kindern in Mekka. Er sprach mit der der Nachrichtenagentur AP via Telefon, in Anwesenheit seines Anwalts, eines Rechtsprofessors aus New York.
«Nicht ein einziges Mal habe ich daran gedacht, den Hungerstreik zu beenden», sagt Zuhair. «Nicht ein einziges Mal.» Und er glaubt, dass es den meisten der derzeit Streikenden ähnlich geht. «Die Männer dort gehen durch die gleichen Erfahrungen und leiden genauso.»
Seit der Eröffnung des Lagers haben sieben Gefangene Selbstmord begangen. Richtlinien des Pentagon schreiben vor, das Hungerstreikende am Leben zu erhalten sind. Die Ernährungsprozedur sei sicher und von Gerichten als legal bestätigt worden, sagt dazu Robert Durand, ein Sprecher des Lagers.
Medizinische Kräfte befeuchten nach seinen Angaben die Schläuche vor dem Einführen, bieten den Gefangenen Betäubungsmittel an und legen bestimmte Pausen zwischen den Prozeduren ein, um die Nasenwege zu schonen. «Wir glauben, dass wir angemessene Schutzmassnahmen haben, um es so schmerzlos wie möglich zu machen», versichert Durand. «Das hier wird nicht getan, um Schmerz zuzufügen oder um jemanden zu bestrafen. Es wird getan, um Leben zu erhalten.»
Wie auf Flugzeugsitzen
Die Gefangenen werden mit Gurten ähnlich denen auf Flugzeugsitzen angeschnallt, die Stühle sind extra für den Zweck hergestellt und sehen etwas wie Trainingsgeräte in einem Fitnessstudio aus. Zuhair spricht von einem «Folterstuhl» und schildert, dass er manchmal stundenlang angeschnallt gewesen sei - angeblich, bis er die Flüssignahrung verdaut habe. Journalisten dürfen bei Zwangsernährungen nicht zuschauen, daher ist es schwierig, die Angaben von Gefangenen und des US-Militärs zu überprüfen.
Pardiss Kebriael, eine Anwältin bei der Bürgerrechtsorganisation Center for Constitutional Rights, hat kürzlich Mandanten in Guantanamo besucht. Sie schildert in einer E-Mail, dass einer von ihnen, Sabry Mohammed aus dem Jemen, inzwischen mehr als 27 Kilo verloren hat. Er sei vor dem Hungerstreik ein gesunder junger Mann gewesen. «Es war erschreckend zu sehen, wie sehr er sich körperlich verändert hat.»
In einem kürzlich veröffentlichten Leitartikel des New England Journal of Medicine rufen zwei Ärzte und ein Professor für medizinische Ethik die Ärzte in Guantanamo auf, sich nicht an Zwangsernährungen zu beteiligen. Wer das tue, verstosse gegen ethische Verpflichtungen. In diesem Sinne haben auch Menschenrechtsgruppen seit langem argumentiert.
Die Risiken der Zwangsernährung
Zwangsernährungen über längere Zeit hinweg hätten Risiken, sagt David Katz, Internist an der medizinischen Fakultät der Yale-Universität. Das gelte besonders dann, wenn die betreffende Person bei der Prozedur unkooperativ sei. Unter anderem könne es passieren, dass Flüssigkeiten in die Lunge gelangten.
Der Behauptung des US-Militärs, alle Prozeduren seien human, widerspricht Zuhair entschieden. «Jedes Mal, wenn ich zwangsernährt wurde, blutetet meine Nase», schilderte er in einem Gerichtspapier. «Der Schmerz danach in meinem Hals war jedes Mal so entsetzlich, dass ich nachts nicht schlafen konnte.»
Er denke häufig an die Männer in Guantanamo, sagt Zuhair. Er frage sich dann, wo Amerikas Menschlichkeit geblieben sei. «Ich frage mich, wie lange das noch weitergeht.»
SDA/wid
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