Obama: Die Rede seines Lebens
Er hielt eine glänzende Antrittsrede und elektrisierte damit das Land gestern abend in Denver. Vor allem aber griff Barack Obama seinen Rivalen John McCain in ungewöhnlicher Schärfe an.
Die Rede seines Lebens musste er halten. Seines Lebens! Er, der vor nur acht Jahren erstmals einen demokratischen Präsidentschaftskongress besucht hatte, und der 2004 in Boston zur Sensation des Parteitages wurde, als er eine berauschende Rede hielt. Am Donnerstagabend trat Barack Obama nun an, in Denver in einem Football-Stadium vor 85'000 Menschen an einem milden Sommerabend, an einem Jahrestag zumal, hatte Martin Luther King doch vor exakt 45 Jahren in Washington seine wunderbare Rede von einem Traum gehalten. Von einem Traum, in dem die amerikanische Gesellschaft einen Menschen geradesowenig nach seiner Hautfarbe beurteilte wie nach der Farbe seiner Augen.
Clintonland, das Pepsi Center, wo der Partei und Parteitag endlich die Spaltung des harten Vorwahlkampfes überwunden und Hillary und Bill dem ersten Afroamerikaner an der Spitze einer amerikanischen Partei ihren Segen erteilt hatten, lag jetzt hinter Barack Obama. Unter freiem Himmel wollte er an diesem Abend die Phantasie der Amerikanern beflügeln wie einst John F.Kennedy, der 1960 seine Antrittsrede als demokratischer Präsidentschaftskandidat in Los Angeles gleichfalls in einem Stadium gehalten hatte. Überzeugen musste Obama seine Zuhörer in der Arena wie die zig Millionen vor amerikanischen Fernsehern, überzeugen, dass er mehr verkörperte als nur luftige Rhetorik, mehr als nur ein diffuses Bekenntnis zu «Wandel» und «Hoffnung».
Und unwiderruflich musste er die Partei hinter sich vereinen, sie zu «seiner» Partei machen – und gleichzeitig präzisieren, was er unter einem politischen Neubeginn versteht und wie dieser zu bewerkstelligen sei. Al Gore war ihm als Redner vorangegangen, Stevie Wonder und Bon Jovi hatten das Entertainment geliefert zu dieser demokraischen Jubelnacht, allein dem neuen und doch so unerwarteten Matador der Partei aber oblag es, sich einmal mehr den amerikanischen Wählern vorzustellen und dabei jenen Ton zu finden, der ihm in in weniger als zehn Wochen zum Sieg verhelfen könnte. Die für ihn vorbereitete Bühne, mit ihren Säulen an das Lincoln- und Jefferson-Denkmal in Washington erinnerend, war zum Gespött seiner republikanischen Gegner geworden: Gleich einem Tempel schaue sie aus, dem «Tempel Obamas», des Halbgottes, der über den Dingen schwebe und eben eine Celebrity sei.
Im weiten Rund des Stadiums in Denver aber herrschte im Licht der untergehenden Sonne eine fast fröhliche Erwartungsstimmung; Geschichte umfing alle, die an diesem Abend auf Barack Obama warteten. Denn was schon konnte historischer sein als dieser Moment, auf den Amerika so lange gewartet und den Dr.King so inständig herbeigesehnt hatte? Dass es nämlich einem dunkelhäutigen Amerikaner gelingen könnte, das mächtigste Amt auf Erden anzustreben. Der Parteitag mit seinen Gerüchten, seinen Partys und seinem politischen Trallala lag jetzt hinter Barack Obama; was kurz nach zwanzig Uhr zählte, war seine Rede und nur seine Rede.
Noch am Donnerstag hatte er an ihr gefeilt in einem kleinen Kreis von Beratern. «Dieser Mann Barack Obama hat Amerika inspiriert, wieder eins zu werden und zusammenzukommen», sagte sein Mentor, Senator Dick Durbin, wie Obama aus Illinois, in seiner Laudatio nur Minuten vor dem Auftritt des demokratischen Präsidentschaftskandidaten in Denver. Danach noch ein Video über das Leben dieses ungewöhnlichsten aller amerikanischen Präsidentschaftskandidaten: «In keinem anderen Land der Erde», so sagt Obama in diesem Film, sei «meine Lebensgeschichte möglich gewesen».
Minuten später betritt er die Bühne, in einem dunkelblauen Anzug und einer rotweiss gestreiften Krawatte. Wieder und wieder brandet Jubel auf. «Dankeschön euch allen» ruft er und versucht den Beifall zu ersticken. Und dann sagt er: «Mit grosser Dankbarkeit und Bescheidenheit nehme ich die Nominierung an» – und bedankt sich bei Hillary und Bill Clinton. Was danach folgt, ist eine Tour de Force, eine brilliante wie kämpferische und von Patriotismus durchwehte Rede, dazu eine direkte Herausforderung an seinen Rivalen John McCain. «Wenn er eine Debatte darüber haben möchte, wer das Temperament und das Urteilsvermögen hat, um Oberkommandierender zu sein – ich bin bereit zu dieser Debatte», sagt Obama.
Und er listet auf, was die Ära Bush an Schäden angerichtet hat, erklärt genau, wie er dagegen anzugehen gedenkt und beschwört wieder und wieder den amerikanischen Traum. Seine Familiengeschichte führt er an, um mit dem republikanischen Mythos, er, Obama, sei nichts als eine Celebrity auf der Sonnenseite des Lebens, ein für alle Mal aufzuräumen. Echos von Lincoln und Kennedy und Franklin Roosevelt durchziehen seine Rede; am Ende aber ist es Barack Obama, der seinen Gegner John McCain offen herausfordert und vor einer Fortsetzung republikanischer Macht in Washington warnt. Konziliant gibt er sich in den grossen Kontroversen, sei es die Abtreibungsfreiheit oder das Recht auf Schusswaffenbesitz, aber schlussendlich ruft er in die gigantische Arena, Amerika sei «besser als die letzten acht Jahre».
Von Eigenverantwortung spricht er, doch auch von einem Staat, der den Bürgern unter die Arme greift, so sie in Not sind. Und immer wieder attackiert er John McCain an als einen Präsidenten, den sich die Vereinigten Staaten nach zwei Bush-Amtszeiten nicht mehr leisten könnten. McCain wolle Osama bin Laden «bis zu den Toren der Hölle verfolgen, aber hat ihn nicht einmal bis zu seiner Höhle verfolgt», sagt Obama und greift einmal mehr den Krieg im Irak als einen unnötigen Krieg an. Denn der Zerschlagung globaler Terrornetze sei mit dem Einmarsch in Mesopotamien nicht gedient.
Er händigt Versprechen bezüglich eines besseren Amerikas und eines Neubeginns in Washington aus und wiederholt das Kernstück seiner glänzenden Rede in Boston 2004: Dass die Amerikaner nämlich erst in zweiter Linie Republikaner und Demokraten, zuerst und vor allem aber Amerikaner seien. «Genug: sage ich dem amerikanischen Volk, egal ob Republikaner oder Demokraten oder Parteilose, genug», ruft er aus – und meint damit die endlose und zersetzende Polarisierung in Washington. Er empfiehlt sich, er wirbt, er geht in die Offensive und versucht einen historischen Moment festzuhalten und gleichzeitig in diesem zu baden – Barack Obama, kein Zweifel daran, ist an diesem Abend in Bestform, womit er auch jenen Kritikern in der eigenen Partei antwortet, die ihm vorgeworfen habe, nicht kämpferisch genug zu sein.
Obama definiert sich vor dem Hintergrund des dunklen Nachthimmels über Denver und verleitet das alte journalistische Schlachtross Carl Bernstein zum Bekenntnis, seit Kennedys Rede in Los Angeles vor beinahe einem halben Jahrhundert habe er solches nicht mehr vernommen bei einem Parteitag. So senkt sich denn der Vorhang über den Parteitag der Demokraten nach einer rauschenden Rede, nach einem Feuerwerk und einem letzten Blick auf diesen Ausnahmepolitiker aus Illinois, der sich am Donnerstagabend einen gewaltigen Dienst erwiesen hat. nnnn
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch