
Die Nervosität war mit Händen zu greifen am Dienstag im Medienzentrum des Bundeshauses. Würde alles nach Plan verlaufen, wenn Aussenminister Ignazio Cassis mit seinem chinesischen Gast Wang Yi zum Pressetermin erscheint? Noch immer steckt den Schweizer Diplomaten die Angst vor einem protokollarischen Eklat in den Knochen. 20 Jahre ist es her, dass sich Präsident Jiang Zemin bei einem Staatsbesuch wegen Demonstranten auf dem Bundesplatz dermassen erboste, dass er den Gesamtbundesrat vor laufenden Kameras massregelte.
Am Dienstag war das Nervenflattern umsonst. Alles lief nach Drehbuch, Wortwolken füllten den Konferenzsaal. Cassis lobte «die privilegierten diplomatischen Beziehungen» zwischen den «befreundeten Staaten». In nahezu identischen Worten wiesen der Schweizer und der Chinese darauf hin, «Geschichte, Kultur und System der politischen Organisation» seien «unterschiedlich», das sei aber «kein Hindernis, zusammen vorwärtszugehen zu Beziehungen von gegenseitigem Gewinn». Mit anderen Worten: Das Geschäft, konkret das Projekt der neuen Seidenstrasse, geht vor.
Kritisches fasste Cassis in Watte. Er habe die Situation in Hongkong und Xinjiang angesprochen, die Menschenrechte seien «ein konstantes Thema, auch in der Schweiz». Doch Wang versteht darunter etwas ganz anderes, nämlich «unserem Volk ein besseres Leben zu verschaffen». Indirekt warnte er vor Forschheit: «Wenn wir unsere Prinzipien hochhalten können, einander mit gegenseitigem Respekt und gleichwertig zu behandeln, können wir eine sehr glanzvolle Zukunft für unsere bilateralen Beziehungen schaffen.» In diesem Kontext bedeutet «gegenseitiger Respekt», dass Hongkong und Xinjiang die Schweiz nichts angehen, weil sie für China interne Angelegenheiten sind. Das war auch Wangs Antwort an Cassis, wie dieser nach der Pressekonferenz einräumte.
Nur vier Fragen waren zugelassen, zwei für Chinesen, zwei für Schweizer.
Journalisten erhielten keine Gelegenheit, den Widersprüchen dieser Argumente auf den Grund zu gehen. Nur vier Fragen waren zugelassen, zwei für Chinesen, zwei für Schweizer. Das Privileg fiel vier Fernsehleuten zu, die harmlose Themen aufwarfen. Dem Aussendepartement ist zwar nur bedingt ein Vorwurf zu machen, wenn ein Gast eigene Vorstellungen der Medienfreiheit mitbringt. Immerhin gab es in der Schweiz einen Pressetermin, anders als am Tag zuvor in Frankreich.
Das EDA war aber diesmal ein schlechtes Vorbild, indem es Schweizer Fragen nur auf Italienisch akzeptierte – aus organisatorischen Gründen. Das ist kein Detail, weil es die freie Pressearbeit einschränkt. Natürlich ist nichts auszusetzen daran, dass der Tessiner Bundesrat so oft wie möglich Italienisch spricht, im Gegenteil. Schliesslich gilt in Berne fédérale die Tradition, dass jeder seine Sprache verwenden kann – aber eben auch die Journalisten. Wenn die offizielle Schweiz das chinesische Regime schon nicht vor laufenden Kameras offen kritisieren will, sollte sie es wenigstens der Zivilgesellschaft und den Medien ermöglichen, ihre Arbeit ungehindert auszuüben.
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Nur nicht zu kritische Fragen, bitte
Bundesrat Ignazio Cassis hat Chinas Aussenminister Wang Yi empfangen. Dabei hat die Schweiz eine Konfrontation vermieden und dafür gesorgt, dass die Medien mitspielen mussten.