Schweizer Social-Media-Protest«#NoLiestal war nur ein Vorgeschmack»
Ein Hashtag dominiert die Schweiz und bietet eine Gegenstimme zu denjenigen, die gegen die Corona-Massnahmen auf die Strasse gehen. Was aber bleibt vom digitalen Widerspruch?

Digitaler Aktivismus ist längst auch in der Schweiz heimisch geworden, das haben diverse Aktionen beispielsweise zu «Black Lives Matter» im vergangenen Jahr oder solche zu Gleichstellungsthemen – wie dem Equal Pay Day Ende Februar – gezeigt. Dass aber eine Kampagne, die ihren Ursprung in der Schweiz hat, das Geschehen auf Social Media beherrscht, ist eine Seltenheit.
Gestern gab das Hashtag #NoLiestal vor allem auf Twitter und Instagram all denjenigen eine Stimme, die sich für das Einhalten von Massnahmen und Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie einsetzen. Der Initiant Nils Althaus formulierte die Notwendigkeit der Aktion in einem Video für die Kampagnenorganisation Campax so: «Die Vernünftigen, die niemanden anstecken wollen, bleiben daheim, wo sie niemand sieht und hört.» Die Massnahmengegner von Liestal hätten dagegen die Titelseiten dominiert.
Sein Aufruf, den er zusammen mit Co-Initiantin Lea Kusano lancierte, hatte durchschlagenden Erfolg: Über 30’000-mal wurde bis gestern Abend zu #NoLiestal getwittert, auf Instagram finden sich immerhin fast 800 Bilder zum Thema. Selbst wenn man die Gegenstimmen und die Trittbrettfahrerinnen abzieht, sind das respektable Zahlen.
Entsprechend zufrieden ist Althaus auch am Tag danach: «Ich bin froh, dass sich so viele Leute für Rücksichtnahme, Wissenschaftlichkeit und Vernunft ausgesprochen haben, und ich spüre auch die Dankbarkeit von vielen für die Aktion», schreibt er auf Anfrage. Dass die Initianten einen Nerv getroffen haben, unterstreicht er selbst: «Die Stimmen kamen aus allen Lagern, von Grünen bis SVP.»
Der Campaigner ist beeindruckt
Beeindruckt zeigt sich auch Daniel Graf, Campaigner und Gründer der Demokratie-Plattform WeCollect: «Die Aktion war eine der grössten Onlinedemos, welche die Schweiz je gesehen hat.» Sie habe gezeigt, «dass viele Menschen die Covid-Massnahmen des Bundesrates mittragen, ja sogar mehr Schutz für die Bevölkerung einfordern.» Dass diese Stimmen bisher im öffentlichen Diskus gefehlt hätten, habe er auch bemerkt.
Kritische Stimmen wie die in einem NZZ-Kommentar, in dem es hiess, die Aktion habe keinen Mut verlangt, kontert Althaus: «Wir wollten ja auch nicht zeigen, wie mutig wir alle sind, sondern was für eine Politik wir uns wünschen.» Wäre es nicht auch denkbar gewesen, ebenfalls auf die Strasse zu gehen, so wie beispielsweise die «Black Lives Matter»-Bewegung im vergangenen Jahr? «Natürlich hätte man sich auch treffen können, aber wir wollten keine weiteren Ansteckungen in Kauf nehmen, weder auf einer Demonstration noch auf der Anreise dorthin oder der Rückreise», argumentiert der Satiriker.
«Wir wollten zeigen, was für eine Politik wir uns wünschen.»
Was hätte der Profi anders gemacht? Graf fällt nicht viel ein, wie er selbst zugibt: «Das Hashtag #NoLiestal war ein Lehrbuchbeispiel: Eine Einzelperson hat eine gute Idee und sucht auf Social Media Verbündete. Sobald eine kritische Masse von Unterstützenden da ist, wird gestartet.» Natürlich sei die Unterstützung von Campax, die in ihrem Newsletter auf die Aktion verwiesen hat, hilfreich gewesen.
Dementsprechend sei diese Form des Onlineaktionismus auch keine «Eintagsfliege» mehr, erklärt Graf: Spätestens #MeToo habe gezeigt, dass man auf diesem Weg politische Forderungen auf die Agenda setzen könne.
Proteste werden sich weiter ins Netz verlagern
Ersetzt die Hashtag-Kampagne also die konzertierte Aktion auf der Strasse? Graf wägt ab: «Grosse Kundgebungen wie der Frauenstreik oder der Klimastreik mit Hunderttausenden von Teilnehmenden geben einfach mehr her als Fotos mit beschriebenen Kartonschildern.» Andererseits sei der Aufwand im Netz wesentlich überschaubarer als bei der Organisation einer Demonstration. Graf erwartet daher, dass sich Proteste künftig noch mehr ins Netz verlagern: «#NoLiestal war nur ein Vorgeschmack.»
«Wir haben ein paar Leute angeschrieben, und dann hat sich eine Lawine gelöst.»
Angesichts der Tatsache, dass die Massnahmengegnerinnen weiter demonstrieren wollen, stellt sich die Frage: Geht es auch mit #NoLiestal weiter?
Nils Althaus wägt ab: «Weder Lea Kusano noch ich sind Vollzeitaktivisten.» Die Aktion sei fast so etwas wie ein Selbstläufer gewesen: «Das ist gerade das Erstaunliche an #NoLiestal: Wir mussten gar nicht viel tun. Campax hat einen Mailversand gemacht, wir haben ein paar Leute angeschrieben, und dann hat sich eine Lawine gelöst.» Ob es weitere Auflagen davon geben werde, kann er zurzeit noch nicht sagen.
Daniel Graf dagegen empfiehlt, das Momentum zu nutzen: «Jetzt geht es darum, diese Welle in politische Energie umzuwandeln.»
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