«Nichts wird mehr so sein wie zuvor»
Der türkische Ministerpräsident Reccep Tayyip Erdogan nähert sich nach den Widerständen der EU gegenüber der Türkei seinen Nachbarn im Nahen Osten an. Seine Popularität im arabischen Raum steigt.

Als «blutiges Massaker» geisselte Erdogan die israelische Militäraktion gegen einen Hilfskonvoi für Gaza, bei der türkische Aktivisten getötet wurden. «Nichts wird mehr so sein wie zuvor», sagte er mit zornbebender Stimme.
Hat der Vorfall im Mittelmeer das zunehmend getrübte Verhältnis zwischen Israel und der Türkei, seinem einzigen Verbündeten in der islamischen Welt, irreparabel beschädigt? Wendet sich die Türkei, die sich als Mittler zwischen Orient und Okzident versteht, vom Westen ab und nähert sich weiter an Länder wie Syrien und den Iran an? In dem Land auf der Nahtstelle zwischen Europa und Asien sind die Dinge selten so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.
Erdogan vollführt einen heiklen Drahtseilakt. Auf der einen Seite sind da seine islamisch orientierte Basis und das Stocken eines EU-Beitritts, auf der anderen Seite das eindeutig westlich orientierte Militär und die verbreitete Erkenntnis, dass enge Beziehungen zum Westen für den angestrebten Aufstieg zur Wirtschaftsmacht entscheidend sind. Tatsächlich hat der Ministerpräsident der islamisch orientierten Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) auf dem Weg in Richtung Europa mehr Sozial- und Wirtschaftsreformen in Gang gebracht als seine weltlich ausgerichteten Vorgänger.
Eklat in Davos
Eher als eine radikale Wende hin zur islamischen Welt könnten seine aufgebrachten Worte die Absicht signalisieren, den Zorn zu Hause zu beschwichtigen - und vielleicht auch politischen Druck gegenüber dem Westen aufzubauen und dennoch das Bündnis intakt zu halten. Manche Beobachter sehen darin auch den Versuch, bestimmte Wählerschichten zu halten, zumal die AKP bei den Kommunalwahlen voriges Jahr deutlich schlechter abgeschnitten hat als 2007. «Die Aussenpolitik dieses Landes wird neu ausgerichtet, bloss um die Stimmen einer Gruppe von Leuten zu behalten, die zu Hause palästinensische statt türkische Flaggen haben», schrieb Oray Egin, Kolumnist der Tageszeitung «Aksam».
Erdogan verneint jedenfalls einen Kurswechsel und beteuert stets, die Türkei sei nach allen Seiten offen. «Wir sind ein Land, das seine Beziehungen sowohl zum Westen als auch um Osten aufrechterhalten will», hatte er im Oktober auf Vorwürfe geantwortet. Einen Seitenwechsel gebe es nicht. Dessen ungeachtet wurde er in arabischen Ländern als Held gefeiert, als er sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos öffentlich mit dem israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres anlegte.
Vermittlerrolle
Seit seinem Amtsantritt 2002 hatte sich Erdogan für den Beitritt zur Europäischen Union stark gemacht und Befürchtungen zerstreut, dass nach dem Sieg der AKP der Islamismus die Oberhand gewinnen könnte. Doch als die Widerstände in der EU mehr und die Europabegeisterung daheim weniger wurde, begann er einen unabhängigeren Kurs zu steuern und sich der lange vernachlässigten Nachbarn im Nahen Osten anzunehmen.
So näherte sich die Türkei an Syrien an, mit dem es noch 1998 wegen dessen angeblicher Unterstützung kurdischer Rebellen beinahe einen Krieg vom Zaun gebrochen hätte, und dem alten Rivalen Iran. Zum grossen Unmut des Verbündeten USA verteidigte Ankara das Recht Teherans auf die Entwicklung seiner Atomtechnologie. Vergangenen Monat war Erdogan zu Besuch in Teheran und handelte gemeinsam mit Brasilien einen Austausch von Kernbrennstoff aus. Auch als Vermittler zwischen Israel und Syrien, zwischen verfeindeten Palästinensergruppen oder zwischen Afghanistan und Pakistan trat die Türkei auf.
ddp/mt
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