Nicht jeder Dicke wird operiert Ein Magenband in 30 Minuten
Seit Anfang Jahr können sich Übergewichtige ab Body-Mass-Index 35 auf Kosten der Krankenkassen operieren lassen. Vorher lag die Grenze bei 40. Obwohl nicht ohne Risiko, nehmen die Eingriffe zu.Seit Anfang Jahr können sich Übergewichtige ab Body-Mass-Index 35 auf Kosten der Krankenkassen operieren lassen. Vorher lag die Grenze bei 40. Obwohl sie nicht ohne Risiken sind, nehmen die Eingriffe zu.
Von Susanne Anderegg Zürich – Thomas Frick beginnt mit einem Magenband. Es ist die einfachere Operation als der Magenbypass. Für das Band braucht er eine gute halbe Stunde, für den folgenden Bypass zweieinhalb Stunden. Es ist morgens um acht, Privatklinik Lindberg in Winterthur. Frick zieht Haube, Mundschutz und Handschuhe über und betritt den Operationssaal. Auf dem Tisch liegt eine 43-jährige Frau. Der Chirurg bohrt drei Löcher in ihren Bauch: zwei für das Operationsbesteck, eines für die Kamera, die sein Assistent hält. Frick kann auf mehrere Bildschirme schauen. Er legt einen Tunnel hinter dem Magen durch, zieht das Band ein. Dann bildet er unter der Fettschicht eine Tasche, in die er einen Füllstutzen platziert. Nach zwei Wochen wird das Magenband mit Kochsalzlösung gefüllt. Das ist aber nicht mehr Sache des Chirurgen. Das macht Fritz Horber. Horber ist der bekannteste Adipositas-Arzt der Schweiz. Der Spezialist für Fettsucht betreut rund 7000 Patientinnen und Patienten. Seit 2006 hat er seinen Hauptsitz an der Klinik Lindberg. In Aarau, Bern, Locarno und Visp betreibt er Praxen für Sprechstunden und Kontrollen. «Unsere Gruppe macht 500 Operationen jährlich», sagt Horber, je zur Hälfte in Winterthur und in der Klinik Beau-Site in Bern. 2011 rechnet er mit 650 Operationen. Der Grund: Früher mussten die Krankenkassen eine Operation erst zahlen, wenn der Patient einen Body-Mass-Index von 40 und mehr hatte (Gewicht geteilt durch Körpergrösse hoch zwei). Seit Januar gilt BMI 35. Horber verzeichnet seither einen Patientenzuwachs von 15 Prozent. «Selber schuld» – ein Vorurteil Der Spezialist tritt der verbreiteten Meinung entgegen, Dicke seien selber Schuld und könnten mit Disziplin auch ohne Operation abnehmen. «Fast alle haben eine genetische Veranlagung für Übergewicht.» Mit konservativen Massnahmen bringe man das Gewicht nicht um mehr als 10 Prozent runter. Horber verschweigt die Risiken einer Operation nicht. Relativ häufig sind Thrombosen, oder eine Naht kann reissen und Blutungen auslösen. Mit genauer Überwachung liessen sich diese Risiken aber minimieren. «Wichtig ist eine schnelle Reaktion, wenn Komplikationen auftreten», sagt Horber. In den letzten fünf Jahren habe er bei erstmals operierten Patienten keine Todesfälle verzeichnen müssen. Thomas Frick ist Horbers bevorzugter Chirurg. Der 56-Jährige war früher Chefarzt im Spital Zollikerberg. Heute operiert er als Belegarzt in der Klinik Lindberg vor allem Fettleibige. Die Mehrheit erhält einen Bypass. Das Magenband wird immer weniger angewandt, weil es nur in ausgewählten Fällen gut verträglich ist. Der Bypass sei in der Regel nachhaltiger, sagt Frick, und man habe schon viele Jahre Erfahrung damit, weil er in ähnlicher Form bei Magenkrebspatienten gemacht werde.An diesem Morgen operiert Frick eine 28-Jährige mit BMI 36, die auf die Senkung der Gewichtslimite gewartet hatte. Für den Bypass braucht er fünf Löcher. Durch eines wird Gas in die Bauchhöhle gepumpt, damit der Chirurg alle Organe gut sehen kann: Speiseröhre, Magen, Zwölffingerdarm, Leber, Milz, Bauspeicheldrüse, Gallenblase, Dünndarm, Dickdarm. Die Operation ist kompliziert. Kurz gesagt, wird der Magen auf die Grösse einer Espressotasse reduziert und direkt mit dem Dünndarm verbunden. Restmagen und Zwölffingerdarm werden abgehängt bzw. umgangen – daher der Name Bypass. Frick arbeitet mit einem Ultraschallmesser – «eine bahnbrechende Erfindung für die Schlüsselloch-Chirurgie», wie er sagt. Man kann damit schneiden, ohne dass es blutet, weil das Messer die Schnittstelle gleich veräzt. Am Schluss kontrolliert Frick alle Nähte. Eine gefällt ihm nicht ganz, er verschliesst sie noch einmal. Komplexe Fälle im Unispital Den Bypass kann Frick in der Privatklinik Lindberg nur bei zusatzversicherten Patienten machen, weil sie einige Tage im Spital bleiben müssen. Magenband-Operierte können in der Regel am Abend heim. Allgemein versicherte Patienten schickt Horber vorzugsweise ins Stadtspital Triemli und ins Universitätsspital. Laut Marc Schiesser, dem Spezialisten im Unispital, besteht eine Warteliste. Die BMI-Änderung habe den Druck zusätzlich erhöht. Dieses Jahr werde man etwa 150 Eingriffe durchführen. Schiesser betont aber: «Es soll keine Lifestyle-Operation sein.» Im Unispital würden viele komplexe Fälle behandelt, die Patienten wögen teils über 260 Kilo. Neu auch im Triemli Für eine gewisse Entlastung sorgt jetzt ein Ex-Kollege von ihm: Markus Weber, der viele Jahre im Unispital arbeitete, ist neuer Chirurgie-Chefarzt im Triemli und legt dort seit Januar ebenfalls Magen-bypässe. Weitere Referenzspitäler im Kanton für diese Eingriffe sind das Limmattalspital, Wetzikon und Hirslanden. Das Triemli musste nicht gross aufrüsten, da der Behandlungstrakt eben neu gebaut und mit Operationstischen bis zu 380 Kilo Traglast ausgestattet wurde. Gemäss Weber sollte nicht jeder ab BMI 35 operiert werden, sondern vorab Übergewichtige mit Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes. Ein Magenbypass hat den guten Effekt, dass der Zucker zurückgeht oder ganz verschwindet. Auch wenn das Mortalitätsrisiko gesunken ist, gibt der erfahrene Chirurg zu bedenken, dass Komplikationen schwerwiegend sein können: «Im schlimmsten Fall kann man daran sterben.» Chirurg Thomas Frick bohrt Löcher in den Bauch, durch die er Kamera und Operationsmesser einführen kann. Foto: Simon Tanner
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