Belgien mit neuer FührungNeue Regierung nach 21 Monaten
Die Einigung auf eine Zusammenarbeit der Parteien ist abgeschlossen. Aber nur 38 Prozent der Bevölkerung sind einverstanden.

Nach mehr als 21 Monaten gibt es in Belgien wieder eine Regierung, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Am Samstag stimmten 87 Abgeordnete für das Kabinett von Premierminister Alexander De Croo, es gab 54 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen. Kurz darauf schrieb De Croo auf Twitter: «Danke für das Vertrauen. Nun an die Arbeit!»
Zu tun gibt es eine Menge: Laut Umfragen haben nur 38 Prozent der Bürger Vertrauen in die Regierung, 46 Prozent sehen sie kritisch. Wegen der Corona-Krise dürfte die belgische Volkswirtschaft um mehr als zehn Prozent einbrechen, ein Chaos-Brexit würde gerade das wirtschaftlich starke Flandern treffen. Wegen kontinuierlich hoher Infektionszahlen gilt Belgien als Risikogebiet, soeben wurde die Marke von 10’000 Corona-Toten überschritten.
37 Audienzen beim König
Bereits im Dezember 2018 war die Koalition von Charles Michel, der heute EU-Ratspräsident ist, wegen des Streits über den UN-Migrationspakt zerbrochen. Sie blieb jedoch geschäftsführend bis zum Wahltermin Ende Mai 2019 im Amt. Danach vergingen fast 500 Tage, in denen König Philippe in 37 Audienzen Vertreter der verschiedenen Parteien empfing, bevor sich sieben von ihnen darauf einigen konnten, die sogenannte Vivaldi-Koalition zu bilden.
De Croo verdankt das Spitzenamt nicht nur dem Respekt, den er sich als Finanzminister erarbeitet hatte, sondern auch seiner flämischen Herkunft. Der 44-Jährige von der liberaldemokratischen Partei Open VLD stammt aus dem wohlhabenderen der beiden Landesteile, in dem etwa 60 Prozent der 11,5 Millionen Belgier leben. Für lautstarke Kritik haben jedoch zwei Tatsachen gesorgt: In der Vivaldi-Koalition sind die Flamen in der Minderheit (42 Abgeordnete stehen 45 Parlamentariern aus der französischsprachigen Wallonie gegenüber), und ihr gehören die beiden landesweit erfolgreichsten Parteien nicht an. Dies sind der nationalistisch-separatistische N-VA sowie der rechtsextreme Vlaams Belang, deren Anhänger in Autokolonnen gegen Vivaldi protestiert hatten.
Während der letzten Jahre hatten wir genug Auseinandersetzungen.»
Daher wundert es nicht, dass De Croo die Opposition zur Zusammenarbeit aufruft: «Lasst uns den Konflikt nicht künstlich aufrechterhalten. Die Lage ist schwierig genug, und während der vergangenen Jahre hatten wir genug Auseinandersetzungen.» Er möchte einen Covid-Sonderbeauftragten einsetzen und das Gesundheitswesen stärken. Zudem sollen Polizei und Justiz finanziell besser ausgestattet werden. Die Grünen haben durchgesetzt, dass der Schienenverkehr gefördert wird und das Land bis 2025 zumindest teilweise aus der Atomenergie aussteigt. «Ich glaube nicht, dass die Opposition so weit entfernt von unseren Zielen ist», sagt De Croo.
Sein Kabinett besteht aus sieben Vize-Premiers, sieben normalen Ministern und fünf Staatssekretären. Die 20 Ämter sind gleichmässig verteilt zwischen Männern und Frauen. De Croos Vorgängerin Sophie Wilmès hatte als erste Frau Belgien regiert; 190 Jahre nach der Staatsgründung ist die Liberale aus der Wallonie nun die erste Frau, die das Aussenministerium leitet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.