Neue Berufskrankheit Burn-out?
Es ist nicht per se den Arbeitgebern anzulasten, wenn Menschen Anzeichen von Erschöpfungs-Depression aufweisen. Aber SP-Nationalrat Mathias Reynard will die Unternehmen dafür verantwortlich machen.
Geht es nach SP-Nationalrat Mathias Reynard, soll das sogenannte Burn-out-Syndrom als Berufskrankheit anerkannt werden. Liest man seine entsprechende parlamentarische Initiative, erhält man den Eindruck, die moderne Arbeitswelt sei ein einziger Albtraum: So sollen heute wegen des «Wandels der Produktionsmethoden (…) psychische Belastungen im Beruf (Stress, Mobbing, sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, Burn-out …)» laufend zunehmen. «Seit einigen Jahren» sei «eine Zunahme und Verschlimmerung der Burn-out-Fälle» zu verzeichnen, «was soziale Tragödien sowie enorme volkswirtschaftliche Kosten» verursache.
Vielleicht sollte sich Herr Reynard einmal mit den Zuständen vor dem erwähnten «Wandel der Produktionsmethoden» befassen; die grossen Romane von Charles Dickens aus dem 19. Jahrhundert würden beispielsweise entsprechendes Anschauungsmaterial bieten. Ich bin fast sicher, dass deren Protagonisten ihr Arbeitsumfeld jederzeit gerne gegen einen heutigen Arbeitsplatz eintauschen würden.
Ganz abgesehen von diesen peinlichen Übertreibungen, macht es sich Mathias Reynard auch zu einfach, denn mit seinem Vorstoss weist er die Verantwortung für psychische Belastungen allein den Arbeitgebern zu. Während die Symptome des «Burn-out», wie beispielsweise die totale Erschöpfung, verbunden mit dem umfassenden Verlust der Leistungsfähigkeit, bisher oft als Zusatzdiagnose zu einer Depression verstanden wurden, hat die WHO das «Burn-out» zwar kürzlich erstmals als eigenes Syndrom anerkannt. Das ändert aber nichts daran, dass die genauen Ursachen für die Symptome nicht geklärt sind.
Vielmehr handelt es sich gemäss aktueller Lehrmeinung beim «Burn-out» um eine multifaktorielle Erkrankung. Dass dabei das berufliche Umfeld eine Rolle spielen kann, ist unbestritten. Gerade in sozialen Berufen, wo es darum geht, sich ständig um andere zu kümmern, besteht die Gefahr, dass das eigene Befinden vernachlässigt wird. Allerdings ist auch bekannt, dass viele Menschen, die an einem «Burn-out» erkranken, schon in früheren Jahren unter psychischen Problemen litten und/oder in ihrem Privatleben unter ungünstigen Umständen leben. Da es aber nicht möglich ist, den Einfluss beruflicher und privater Ursachen eindeutig voneinander abzugrenzen, entspricht das «Burn-out» nicht der Definition einer Berufskrankheit gemäss Unfallversicherungsgesetz und kann schon aus formalen Gründen keinen Eingang in dieses Gesetz finden.
Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der Nationalrat seiner vorberatenden Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit folgt und dieser effekthascherischen Initiative keine Folge gibt.
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