Nehmt Churchill die Zigarre weg!
Gesundheitsapostel bekämpfen sogar rauchende Schauspieler in TV und Kino. Dabei gibt es noch viel zu tun für die künstlerischen Putzkolonnen im Kampf gegen die steigende Flut schmutziger Filme.

Die Sitzungen der SP-Grossratsfraktion in den 1980er-Jahren waren noch echte Herausforderungen: für Körper und Geist. Der voll besetzte Saal im ersten Stock der «Börse» wurde durch undurchdringliche Rauchschwaden von Zigarren, Pfeifen und Zigaretten eingenebelt. Heute würde der Anlass vom Kantonalen Laboratorium wegen der Massierung von gesundheitsgefährdenden Stoffen in der Luft verboten. Nicht nur die «Börse» ist unterdessen verschwunden, auch die Rauchschwaden haben sich verzogen. Das Rauchverbot, lange heiss umstritten, nun aber allgemein akzeptiert, verhindert Gott sei Dank, dass uns in den Restaurants der Genuss von Speis und Trank durch rücksichtslose Raucherinnen und Raucher vermiest wird.
Beim Kampf gegen die Schadstoffe bleibt aber allzu häufig der gesunde Menschenverstand auf der Strecke. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa fordert ein grundsätzliches Rauchverbot vor der Kamera. Und die Deutsche Krebshilfe zeichnet nikotinarme Serien mit dem «Rauchfrei-Siegel» aus.
Eine Studie des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung hat ergeben, dass in 33 von den 39 Werken, die 2016 und 2017 für den Deutschen Filmpreis nominiert waren, geraucht wurde, also in 85 Prozent der Fälle. Bei den für den Oscar nominierten Filmen desselben Zeitraums betrug der Anteil lediglich 64 Prozent.
In der 768. Folge der Reihe «La réalité dépasse la fiction» spielt die CSU(!)-Politikerin Marlene Mortler eine Hauptrolle. Sie ist Drogenbeauftragte der Deutschen Bundesregierung und fordert allen Ernstes, die Präsenz von Rauchern auf Leinwand und Bildschirm deutlich zu vermindern. Ihre dezidiert simple Begründung: «Zigaretten sind weder cool noch lässig, sondern schlicht und einfach ungesund.»
Zurzeit läuft in den Kinos Joe Wrights meisterhafte Filmbiografie «Darkest Hour» über Winston Churchill im Mai 1940. Glänzend gespielt von Gary Oldman. Ohne qualmende Zigarre – und ohne seine ständigen Begleiter Champagner, Scotch und Brandy – ist die Figur des Premiers nicht realistisch darstellbar. Oder kann sich jemand Filme wie Casablanca, La Dolce Vita oder Ausser Atem rauch- und alkoholfrei vorstellen? Oder Schauspieler wie Humphrey Bogart, Marcello Mastroianni, Marlene Dietrich, Uma Thurman, Lauren Bacall, Clint Eastwood, Sharon Stone, Alain Delon, Sean Connery, John Wayne oder Jean-Paul Belmondo ohne Glimmstängel? Oder Jacques Tati als Monsieur Hulot ohne Pfeife und Peter Falk als Colombo ohne Zigarre?
Wer will diese vegane Kunst, porentief gereinigte Filme, Bücher und Lieder, noch geniessen?
Im Archiv kann man sich noch die TV-Interview-Sendungen von Günter Gaus anschauen. Mit den zigarettenrauchenden Hannah Arendt und Gustaf Gründgens oder einem hinter Zigarrenqualm verschwindenden Ludwig Erhard.
Als Nächstes werden dann wohl Literatur und Musik vom Rauch gesäubert. Fjodor Dostojewski, Thomas Mann, John Steinbeck, Albert Camus und Jean-Paul Sartre, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Juliette Gréco und Edith Piaf.
Es gibt noch viel zu tun für die künstlerischen Putzkolonnen im Kampf gegen die steigende Flut schmutziger Filme. Nach dem Nikotin folgen der Alkohol, dann die Gewalt, dann der Sex, dann das Grillfleisch und schliesslich noch die unreinen Gedanken.
Die Frage bleibt, wer diese vegane Kunst, porentief gereinigte Filme, Bücher und Lieder, noch geniessen will.
Die Antwort ist ganz einfach: niemand!
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