Mursi strebt engere Beziehungen zum Iran an
Der neue ägyptische Präsident will sein Land dem Iran annähern, um ein strategisches Gleichgewicht in der Region zu schaffen. Ein klare Botschaft richtete der Muslimbruder auch an die Adresse von Israel.
Der neu gewählte ägyptische Präsident Mohammed Mursi strebt engere Beziehungen zum Iran an. Mursi sagte in einem heute veröffentlichten Interview der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Fars, er wolle die Beziehungen zur Islamischen Republik ausweiten.
Damit wolle er ein strategisches Gleichgewicht in der Region schaffen. «Dies ist Teil meines Programms», zitierte Fars den Islamisten. Nach Angaben von Fars fand das Interview gestern wenige Stunden vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentenwahl statt.
Keine diplomatischen Beziehungen
Irans Führung gratulierte Mursi nach Bekanntgabe des Wahlresultats. Der Iran unterhält seit der iranischen Revolution 1979 wegen des ägyptischen Friedensabkommens mit Israel keine diplomatischen Beziehungen mit Ägypten.
Mursi hatte sich bei der Stichwahl mit knappem Vorsprung gegen den früheren Luftwaffenchef Ahmed Shafik durchgesetzt. Die Wahlkommission in Kairo erklärte, Mursi habe 51,7 Prozent der Stimmen erhalten. Sein Rivale, der frühere Ministerpräsident Ahmed Shafik, kam demzufolge auf 48,3 Prozent. Die Beteiligung an der Stichwahl vom 16. und 17. Juni lag bei 51 Prozent. Unter den Anhängern Mursis, die sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo versammelt hatten, brandete Jubel auf, als das Ergebnis im Fernsehen verkündet wurde.
Internationale Verträge achten
In einer Ansprache, die gestern Abend vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde, betonte Mursi, der Präsident aller Ägypter sein zu wollen. «Muslime oder Christen, Männer oder Frauen, Alte oder Junge, ihr seid alle meine Familie», sagte der Islamist. Alle internationalen Verträge seines Landes würden geachtet. «Wir wollen Frieden», erklärte der neue Präsident weiter. Ägypten ist – neben Jordanien – das einzige arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat.
Der unterlegene Kandidat bei der Präsidentschaftswahl, Ahmed Shafik, gratulierte dem Sieger der Stichwahl. Shafik habe dem designierten Staatschef in einer Botschaft Erfolg bei der «schwierigen Aufgabe» gewünscht, die das ägyptische Volk ihm anvertraut habe, meldete die amtliche Nachrichtenagentur MENA.
Dank an die «Märtyrer der Revolution»
Der 60-jährige islamistische Politiker Mursi würdigte auch die Aufständischen, deren Revolte den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak im Februar vergangenen Jahres aus dem Amt getrieben hatte. Mit Blick auf die rund 850 Toten des Aufstandes dankte Mursi den «Märtyrern». Die Revolution gehe so lange weiter, bis «alle ihre Ziele erreicht» seien, sagte Mursi.
Die Wahl Mursis gilt als historisch. Nach einer Abfolge von Pharaonen, Königen, fremden Statthaltern und Generälen ist der 60- Jährige der erste zivile Politiker an der Spitze des ägyptischen Staates. Mit ihm erobert die vor 80 Jahren gegründete Muslimbruderschaft das erste Mal das höchste Staatsamt.
USA bezeichnen Wahl als Meilenstein
Die USA bezeichneten die Wahl Mursis als Meilenstein auf dem Weg Ägyptens zur Demokratie. In einer Stellungnahme rief der Pressesprecher des Weissen Hauses, Jay Carney, Mursi ausserdem dazu auf, bei der Regierungsbildung auf alle Parteien und Gesellschaftsschichten zuzugehen.
Die Europäische Union hat dem künftigen Präsidenten Ägyptens zu dessen Wahl gratuliert. Die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton begrüsse zudem den friedlichen Verlauf der Präsidentenwahl, sagte deren Sprecherin am Sonntagabend in Brüssel. «Dies ist ein wichtiger Meilenstein in Ägyptens demokratischem Übergang und ein historischer Augenblick für das Land und die Region», sagte die Sprecherin.
Ashton sei überzeugt, dass die Regierung Mursis «die Unterschiedlichkeit Ägyptens widerspiegeln wird». Ashton ermutige Mursi, der als Vertreter der Muslimbruderschaft gewählt wurde, «sich allen anderen politischen und gesellschaftlichen Gruppen zu öffnen».
Netanyahu: Zusammenarbeit geht weiter
Israel hat auch nach dem Wahlsieg des islamistischen Kandidaten Mohammed Mursi die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Ägypten bekräftigt. Basis sei der Friedensvertrag zwischen beiden Ländern, hiess es in einer Erklärung. «Israel schätzt den demokratischen Prozess in Ägypten und respektiert seine Ergebnisse», erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu in einer Stellungnahme. Der Friedensvertrag sei im Interesse beider Völker und trage zur Stabilität in der Region bei.
Israel und Ägypten hatten 1979 einen Friedensvertrag geschlossen; jahrzehntelang herrschte ein «kalter Frieden» zwischen beiden Ländern. Seit dem Sturz Mubaraks Anfang 2011 haben die Spannungen zwischen Kairo und Jerusalem stark zugenommen.
Palästinenser im Gazastreifen feiern Wahlsieg
Derweil feierten die Palästinenser im Gazastreifen den Sieg des Islamisten Mursi. Die Menschen strömten nach Verkündung des Wahlergebnisses auf die Strassen, feuerten Freudenschüsse ab und zündeten Feuerwerkskörper. Hamas-Führer Mahmud al-Sahar sagte, Mursis Sieg bedeute Unterstützung für den Kampf gegen die israelische Besatzung.
«Der Verlierer in diesem Kampf sind Israel und seine Verbündeten in der Region», sagte Al-Sahar mit Blick auf die gemässigtere palästinensische Organisation Al-Fatah. Die Hamas war ursprünglich aus der ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen.
Der Gazastreifen wird von der islamistischen Hamas regiert. Der gestürzte ägyptische Staatschef Hosni Mubarak hatte sich an der israelischen Blockade des Autonomiegebiets beteiligt. Die Palästinenser hoffen nun, dass der neue Präsident Mursi die Beziehungen zum Gazastreifen verbessern wird. Der Gazastreifen grenzt auf einer Länge von 15 Kilometern an Ägypten.
Unklares Machtgefüge
Allerdings dürften auch mit dem Entscheid für Mursi die Machtkämpfe zwischen dem herrschenden Militärrat, den Islamisten und Kräften des arabischen Frühlings nicht enden. Die erste freie Wahl eines Präsidenten sollte das Ende der seit sechs Jahrzehnten bestehenden Dominanz der Streitkräfte einläuten.
Doch kurz vor Torschluss beschnitt der Militärrat die Befugnisse des Amtes und liess das von islamistischen Parteien dominierte Parlament auflösen. Mehr als ein Jahr nach dem Sturz Mubaraks ist damit das künftige Machtgefüge unklar.
Um Betrugsvorwürfen nachzugehen, hatte die Wahlkommission die ursprünglich für Donnerstag geplante Bekanntgabe des Ergebnisses auf Sonntag verschoben. Hinter der Verschiebung vermuteten viele Ägypter den Versuch der Streitkräfte, sich der Forderung nach Demokratie mit aller Macht zu entziehen.
Der frühere General Shafik war der letzte Regierungschef unter dem gestürzten Präsidenten Mubarak. Viele Ägypter sehen den 70-Jährigen als Vertreter des alten Regimes. Wie Mursi hatte er sich im Vorfeld der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zum Sieger erklärt.
Wie krank ist Mubarak?
Der Gesundheitszustand des früheren Machthabers Mubarak hatte sich zuletzt dramatisch verschlechtert. In den Sicherheitsbehörden hiess es, der 84-Jährige falle immer wieder ins Koma, der Zustand stabilisiere sich aber.
Viele Ägypter verdächtigen die Generäle jedoch, die Verfassung ihres langjährigen, mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilten, Weggefährten zu dramatisieren, um ihm das Gefängnis zu ersparen.
dapd/kpn/wid
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