«Mr Nein» gibt seinen Abschied
Wolfgang Schäuble trat letztmals in der Brüsseler Finanzminister-Runde auf. Wie kein anderer prägte er die Krisenjahre der Eurozone.

«Es gab eine Zeit vor Herrn Schäuble, eine Zeit mit Herrn Schäuble, und es wird eine Zeit nach Herrn Schäuble geben.» Mit seiner Aussage zu Wochenbeginn im deutschen Fernsehen machte EU-Wirtschafts- und -Währungskommissar Pierre Moscovici noch einmal deutlich, dass der Ende Oktober anstehende Rücktritt des deutschen Finanzministers kein Routinevorgang im schnelllebigen Politbetrieb ist. Vielmehr steht die Eurozone vor einer Zäsur.
Mit Wolfgang Schäuble verabschiedet sich der dienstälteste Finanzminister vom Brüsseler Parkett und dazu noch der Vertreter des wichtigsten Landes in der Eurogruppe (wie das Gremium der Finanzminister aller 19 Euroländer heisst). Vor allem aber tritt mit dem 75-jährigen Schwaben jener Mann ab, der das Krisenmanagement in der Eurozone zwischen 2010 und 2016 dominierte und sich dabei von niemandem dreinreden liess – auch nicht vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der über reiche Erfahrungen mit Interventionen in wirtschaftlichen Krisenländern verfügt. Schäuble war die alles bestimmende Figur in der Eurogruppe. Seinem Wort wagte keiner zu widersprechen, weder der niederländische Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem noch der Franzose Moscovici.
Eindimensionale Sicht
Oberste Priorität hatten und haben für den deutschen Kassenwart stabile, geordnete Staatsfinanzen. In seiner Sicht bilden sie die Grundlage für jegliche Haushalts- und Finanzpolitik, weil nur so nachhaltiges Wachstum zu erzielen und das Vertrauen der Bürger und der Akteure an den Märkten zu gewinnen sei. Dem ist grundsätzlich nicht zu widersprechen.
Doch Kritiker halten Schäuble vor, das Streben nach ausgeglichenen Staatshaushalten sei bei ihm derart zur Fixierung geworden, dass er alle anderen wirtschaftspolitischen Ziele aus dem Blick verlor. Mit dieser eindimensionalen Betrachtung konnte er – und mit ihm die EU-Kommission – den unterschiedlichen Ursachen nicht gerecht werden, welche 2010/11 die Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal unter das schützende Dach der Eurorettungsschirme zwangen.
Wolfgang Schäuble wurde im Herbst 2009 deutscher Finanzminister – just zu der Zeit, als die griechische Regierung die Hiobsbotschaft verbreitete, das Staatsdefizit sei doppelt so hoch als bislang angenommen. Die Schuldenkrise in der Eurozone nahm damit ihren Lauf, ebenso die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Brüssel respektive Berlin über die verordneten Sparziele.
Auf dem Höhepunkt dieses Konflikts – als die linksextreme Syriza-Partei 2015 die Regierungsgeschäfte übernahm und mit dem Ausstieg aus dem Hilfsprogramm drohte – war Schäuble sogar bereit, die Griechen aus der Eurozone herauszudrängen. Es bedurfte eines Machtworts von Kanzlerin Angela Merkel, um ihren wichtigsten Minister davon abzubringen.
Auch im Rückblick lässt Schäuble keine Selbstkritik und Zweifel über die massgeblich von ihm konzipierte Politik scharfer Budgeteinschnitte und Wirtschaftsreformen aufkommen. Mit Verweis auf die ansehnlichen Wachstumsraten in Portugal und Irland und Zeichen einer Wiederbelebung in Griechenland sei er heute stärker noch als vor acht Jahren überzeugt davon, «dass eine solche Politik mehr dauerhaftes Wachstum generiert als jede andere», wie er dieser Tage in einem Interview mit der «Financial Times» sagte.
Die Tragik des Prinzipienreiters
Vergessen gehen dabei jedoch die gewichtigen sozialen Kosten, welche die (früheren) Krisenländer in Form anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und deutlich gestiegener Armut zu tragen haben. Und wenngleich die Akzeptanz des Euro bei den Mitgliedern der Währungsunion zuletzt wieder zugenommen hat, ist der Graben zwischen Nord und Süd längst nicht zugeschüttet.
Die Zensuren von Schäuble und Kohorten betreffend verlässlichem und solidem Haushalten klingen in den südeuropäischen Hauptstädten immer noch nach. Dort hält sich auch der Eindruck – nicht ganz zu Unrecht –, dass die Hilfsprogramme von EU und IWF weniger auf das Wohl der bedürftigen Staaten abzielten als vielmehr auf das deutscher und französischer Banken, die hohe Kreditsummen im Süden ausstehend hatten.
Diese Kehrseiten haben den Ruf des Euro und den europäischen Einigungsprozess in der Öffentlichkeit alles andere als befördert – hierfür trägt Schäuble eine Mitverantwortung. Man kann darin eine gewisse Tragik im Wirken des christdemokratischen Politikers erkennen, zählt er doch innerhalb der Kanzlerpartei CDU zu den leidenschaftlichsten Fürsprechern eines zusammenwachsenden Europas.
Video: Schäuble warnt vor einer Ost-West-Spaltung Europas
Zu Schäubles besonderen Verdiensten gehört denn, dass er diese Vision gegenüber einem skeptischer gewordenen deutschen Publikum unermüdlich verteidigt hat. Zweifellos wird er dazu auch seine neue Funktion als Bundestagspräsident nutzen – zumal in einem Parlament, in dem neu eine rechtsextreme europafeindliche Partei mit über 90 Köpfen sitzen wird.
Bei allem Engagement für die europäische Idee machte Schäuble aber auch stets klar, wo für ihn und die Berliner Regierung nichts geht: Deutschland wird sich gegen alle Bestrebungen stemmen, die in der einen oder anderen Form auf eine gemeinschaftliche Haftung aller Euromitglieder hinauslaufen. Daher des Noch-Finanzministers heutiges Nein zu einem gemeinsamen «echten» Budget der Eurozone, so wie er früher Nein sagte zu gemeinschaftlichen Schuldscheinen (Eurobonds) oder zu einer einheitlichen Versicherungslösung für Spareinlagen bei Banken im Euroraum. In angelsächsischen Medien hat sich Wolfgang Schäuble dafür den Namen «Mr Nein» eingehandelt. Sein Abschied aus Brüssel wird auch bei Brüsseler Journalisten eine schmerzliche Lücke hinterlassen. An dem Berliner «Sparzar» und Prinzipienreiter konnten sie sich reiben wie kaum an einem anderen Politiker.
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