Mordfall Lucie: Aargauer Behörden waren gewarnt
Nach jahrelanger Therapie wurde Drogenkonsument und Gewalttäter D. H. rückfällig und ermordete Lucie. Die Behörden waren vorgewarnt, konnten die Tat aber nicht verhindern.
Der brutale Mord von Rieden bei Baden hat eine lange Vorgeschichte voller Einzel- und Gruppentherapien, die erfolgreich schienen, und Warnsignalen, die nicht genügend berücksichtigt wurden. Es ist die Geschichte des heute 25-jährigen D. H., der in kurzer Zeit Freundin, Stelle und Halt im Leben verlor und der vergangene Woche zum Mörder wurde. Im Mai 2004 stand der Aargauer vor Gericht - nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal wegen eines Gewaltdelikts. Im Alkohol- und Drogenrausch hatte der damals 19-Jährige eine Bekannte angegriffen und übel zugerichtet (TA von gestern). Unter Schock fuhr das eingeschüchterte und verletzte Opfer den Täter mit dem Auto vom abgelegenen Tatort, dem Schützenhaus im aargauischen Berikon, nach Hause. Später zeigte die junge Frau ihren Peiniger an.
Niemand wollte die Verwahrung
Die Richter fragten sich damals, ob der Täter verwahrt werden soll. Alle Prozessparteien erachteten dies aber als nicht angemessen. Das Bezirksgericht Bremgarten folgte einem Gutachten der Psychiatrischen Klinik Königsfelden. Die Forensiker hatten statt einer Verwahrung eine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt empfohlen, was das Strafrecht für junge Erwachsene ermöglicht. Im Nachhinein kritisieren dies Politiker.
D. H. kam ins Massnahmenzentrum Arxhof, einer Art Jugendgefängnis ohne Mauern und Gitter, dafür mit Ausbildungs- und Therapiemöglichkeiten. Unter den harten Jungs auf dem abgelegenen Baselbieter Hügel fiel er vier Jahre lang fast nur positiv auf. «Ein harmloser, junger, netter Mann», sagt Anstaltsdirektor Renato Rossi. Nachdenklich ergänzt er: «Das ist oft so bei dieser Art von Gewalttätern.» D. H. beendete in der internen Küche seine Kochlehre, machte seine Therapien.
Die meiste Zeit war er clean, Drogenrückfälle gab es vereinzelt, Gewalttaten nie. Bald durfte D. H. extern als Koch arbeiten und in der Aussenwohngruppe der Anstalt in Sissach wohnen. Während seines begleiteten «Wohnexternats» im Aargau fand er schnell Kollegen und eine Freundin. Alles schien bestens. «Unsere Prognose für ihn war sehr gut», sagt Direktor Rossi über «den ersten schlimmen Rückfall im Arxhof in 18 Jahren». Hinzu fügt er: «Wir wussten aber: Wenn D. wieder anfängt, Drogen zu konsumieren, kann er gewalttätig werden.»
Wirkungsloser Massnahmenkatalog
Pünktlich zu seinem 25. Geburtstag, nach 3 Jahren und 51 Wochen in Arxhof-Obhut, wurde D. entlassen. Der Austrittsbericht empfahl: eine lange Bewährungsfrist, suchtbegleitende Massnahmen und regelmässige Kontrollen. Der Kanton Aargau wollte dem nachkommen. D. H. musste seine Therapie jedoch selber bezahlen - ein Budgetposten, der ihm bald wenig sinnvoll erschien. Irgendwann im letzten halben Jahr begann D. H., wieder Kokain zu nehmen. Den zuständigen Aargauer Behörden wurde dies durch seine Bewährungshelferin mitgeteilt. Doch trotz der Warnungen konnten sie die Mordtat von vergangener Woche nicht verhindern. «Erste Massnahmen im Zusammenhang mit dieser Drogenproblematik» seien zwar eingeleitet worden, sagte Pascal Payllier, Chef der Abteilung Strafrecht im Aargau, in der TV-Sendung «10 vor 10» - «und weitere wären gefolgt».
Genauere Angaben will der Kanton morgen machen. Laut Payllier wurde versucht, D. H. «von einem freiwilligen Drogenentzug zu überzeugen»; für energischeres Durchgreifen fehle die gesetzliche Grundlage. Dies sehen andere Fachleute anders. «Bei bedingter Entlassung können die Behörden Weisungen wie obligatorische Urinproben bei Suchtfällen oder Alkoholverbote anordnen», sagt Dominik Lehner, Leiter Freiheitsentzug im Kanton Basel-Stadt. «Bewährungshelfer können die Einhaltung kontrollieren.» Dies werde aber noch zu wenig gemacht.
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