BaZ hilft Not lindernMit sieben Kindern auf einen Hof ins Emmental gezogen
Im Appenzell wurde es der neunköpfigen Familie Koller zu eng. Nun fängt sie auf dem Lihnenhof in Oberfrittenbach noch einmal neu an.

Was für ein Bild! Ein kurzer Weg führt von der einspurigen Landstrasse, die die vereinzelten Häuser Oberfrittenbachs miteinander verbindet, zum Hof der Kollers. Ein Emmentaler Bauernhaus, wie man es sich vorstellt – in einer Landschaft, wie man sie sich nicht idyllischer ausmalen könnte. Und da stehen sie, die Kinder, strahlen einem entgegen und rangeln um den besten Platz an den drei Fenstern: Rebekka, Salome, Nathanael, Benjamin und Tabita. Die jüngsten zwei, Joscheba und Ephraim, sind noch beim Mittagsschlaf.
Auf dem Lihnenhof in Oberfrittenbach, das politisch zu Langnau gehört, wird seit vergangenem Oktober Appenzellerdeutsch gesprochen. Dort kommen die Kollers nämlich her, Debora und Michael, 34 und 38 Jahre alt, ihre sieben Kinder zwischen einem und zehn Jahren, die Hasen, Katzen und Hühner, die Pferde und Esel. In Jakobsbad AI bewirtschafteten sie den Eugsthof in zweiter Generation. Sie betrieben Mutterkuhhaltung, das Fleisch lieferten sie direkt an ihre Kunden aus.
Doch das Wohnhaus platzte aus allen Nähen, weder hatte die Familie genügend Platz für sich, noch genügend Stauraum für ihre Sachen. Und die Deckenhöhe mass 1,80 Meter. Denkt Michael Koller zurück, schüttelt er den Kopf – und lächelt: «Natürlich war der Abschied ein grosser Schritt.» Vor allem aber hätten sie sich aufs Emmental gefreut, die neue Herausforderung, den Platz, den Neustart, der ein einziges Abenteuer ist. «Tatsächlich ist es ein grosses Aufatmen, eine riesige Erleichterung.»
Von Milch- auf Fleischproduktion
Im Emmental übernehmen sie den Hof eines Milchbauern, der Ende Jahr in Rente geht und unter dessen Kindern sich kein Nachfolger fand. Für die Kollers ist das ein Glücksgriff. Nun gilt es umzustellen, von Milch- auf Fleischproduktion, wie sie sie bereits im Appenzell betrieben. Noch bis Ende Jahr betreuen ihre Vorgänger das Vieh, dann übernehmen die Kollers.
Sie wollen möglichst schnell wieder einen eigenen Vertrieb aufbauen, neue Kunden gewinnen, daneben planen sie, ihr eigenes Holz zu vermarkten. Schliesslich gehören zu den neuneinhalb Hektaren Wies- und Ackerland acht Hektaren Wald. Und Debora Koller ist gelernte Schreinerin. «Und die Kinder können es kaum erwarten, endlich anzupacken», erzählt sie lachend.

Noch sind nicht alle Umzugskisten ausgepackt. «Aber wir leben uns gut ein, die nächsten Nachbarn kennen wir bereits. Doch bis man an einem Ort wirklich zu Hause ist, dauert es fünf, sechs Jahre», ergänzt Michael Koller. Und man müsse wissen, dass man selbst innerhalb der Schweiz an einem neuen Ort als eine Art Ausländer ankomme, gerade in einem ruralen Landstrich wie dem Emmental, erklärt Koller in breitem Appenzellerdeutsch.
Schon bevor die Familie mit dem ersten Umzugswagen in Oberfrittenbach eintraf, «kannte» sie der ganze Weiler. Sie stören sich daran nicht, betonen, dass sie sich wohlfühlten und bereits gut eingelebt hätten. Und mit ihrer zugänglichen Art werden sie das Vertrauen ihrer neuen Nachbarn im Sturm gewinnen – fraglos.
Altes Handwerk weitergeben
Ihren Pferden und Eseln steht der Umzug derweil noch bevor. Ein befreundeter Landwirt schaut zurzeit zu ihnen. Die Familie hält die zwei Haflinger nicht nur zum Reiten: «Für uns sind sie auch eine Versicherung.» Michael Koller ist weder Schwarzmaler noch Nostalgiker, aber den Tag, an dem er seine Pferde ins Geschirr legt, um mit ihnen den Acker zu pflügen, kann er sich lebhaft vorstellen. «Treibstoffengpässe sind nicht unrealistisch.»

Da sei es doch gut, wenn man nicht nur Pferde für die Arbeit hat, sondern auch Gerätschaften wie Egge und Pflug – und vor allem das Wissen darum, wie man sie benutzt. Koller erhält das ganz bewusst und will es auch seinen Kindern weitergeben. Er erinnert sich daran, wie sein Vater mit den Pferden Forstarbeit und Ackerbau verrichtete. Und wie sie als Familie sonntags hoch zu Ross zum Gottesdienst ritten.
Michael Koller sieht sich nicht als klassischen Landwirt, sondern vielmehr als Unternehmer, der Strategien entwickelt, Vorteile abwägt, Marktbereiche erschliesst. Schliesslich hat er das Bauernhandwerk auch nicht im ersten Berufsweg eingeschlagen; eigentlich ist er nämlich Metallbauer. Und dieser Metallbauer ist nicht nur dann aktiv, wenn der Landwirt Koller einen Standfuss an seinen Holzgreifer schweisst; Michael Koller hat seinen Beruf zur Kunst entwickelt: zur Metallkunst.

Unter dem Label «Koller Metallkunst» schafft das Paar seit Jahren filigran verzierte Kunstobjekte aus Eisen, und das äusserst erfolgreich. Der Klassiker ist natürlich der Alpaufzug, doch moderneren Sujets sind sie genauso aufgeschlossen. Mit einem Grill hat alles angefangen: «Wir meinten, das wird unser Verkaufsschlager», erzählt Debora Koller. Es kam anders. Heute verkaufen sich ihre verzierten Säulen, Windspiele, Hochbeete, Sichtschutzwände oder Briefkästen bedeutend besser. Ihre Kunden kommen aus der ganzen Schweiz. Sie sind ganz und gar anders als die Kundschaft, die ihr Fleisch kauft, und dennoch sind die beiden Standbeine eng miteinander verflochten.
Sein Atelier hat Michael Koller bereits im Ökonomiegebäude eingerichtet, ein neues Holztor gezimmert, Auffahrt und Boden betoniert. Auch die Quelle, die den Hof mit Wasser versorgt, hat er neu gefasst und vom Wurzelwerk befreit. «Das war ein Riesenaufwand», blickt er zurück, «und gleichzeitig eine ungemein befriedigende Arbeit.» Und die Kinder waren hautnah dabei.

Die werden nämlich zu Hause unterrichtet, das ist der Familie ein grosses Anliegen. «Uns ist es wichtig, dass wir unsere Zeit zusammen verbringen; Arbeit und Familie an einem Ort war schon immer unser Ziel», sagt Michael Koller – und der Kanton Bern handhabt das Homeschooling vergleichsweise unkompliziert. So befindet sich das Schulzimmer der Koller-Kinder direkt neben der Stube, vom Ess- zum Schreibtisch sind es nur ein paar Schritte.
Debora und Michael Koller beginnen noch einmal von Grund auf neu. «Jetzt oder nie», hätten sie sich gesagt, erzählen die beiden. Dennoch bedarf der Schritt, alles auf eine Karte zu setzen, die Heimat zu verlassen und andernorts neu zu beginnen, Mut und Zuversicht. Und einen Zustupf für den Start ins neue Leben. Denn einen Bauernhof kauft man nicht einfach so.
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