Mit Sicht auf See und Gleise
Fährt ein Güterzug vorbei, zittert sein Haus. Daniele Gasparini wohnt seit 18 Jahren im Richterswiler Bahnhof.
Richterswil. - Gleise so weit das Auge reicht: Die Aussicht einer Wohnung stellt man sich normalerweise etwas hübscher vor. Und dieser Lärm! Im Viertelstunden-Takt fahren Züge vorbei. «Ich höre sie schon gar nicht mehr», sagt Daniele Gasparini lachend. Seit mehr als 18 Jahren wohnt er im Richterswiler Bahnhofsgebäude - oberhalb der Schalterhalle. Situationen, die sich die meisten Mieter nicht vorstellen können oder am liebsten meiden, gehören für Daniele Gasparini fast zum Alltag. So wurde sein Auto, das er vor dem Bahnhof parkiert, schon von Einbruchsräubern als Fluchtfahrzeug verwendet: Sie hatten den Tresor des SBB-Billettschalters geplündert. Ein andermal wurde er mitten in der Nacht von dumpfen Schlägen geweckt. Ein älterer Herr wollte sich Zugang zum verschlossenen Wartsaal verschaffen. «Mit der Zeit lernt man, gewisse Sachen zu tolerieren», sagt Gasparini. Damit meint er zum Beispiel auch lärmige Jugendliche, die in den frühen Morgenstunden neben seinem Haus auf den Bus warten. Oder frierende Zuggäste, die sich im Winter in seinem Treppenhaus aufwärmen. Auf öffentlichem Grund zu wohnen, ist für den 57-jährigen Jugendkoordinator trotz allem kein Nachteil. Für seine sechsköpfige Familie hätte er keinen besseren Wohnort finden können. «Besonders als die Kinder noch klein waren, war unsere Wohnung Treffpunkt aller Verabredungen», sagt er. Unter Denkmalschutz Seit der Renovation des Bahnhofes im Jahre 1991 wohnt Gasparini in der ehemaligen Wohnung des Bahnhofvorstands. Dass «sein» Haus unter Denkmalschutz steht und 1992 einen Preis als «schönster renovierter mittelgrosser Bahnhof Europas» gewonnen hat, freut ihn besonders. Schön findet er auch, dass bei der Renovation auf die Geschichte des Hauses geachtet wurde. 1876 als «Stationsgebäude II. Classe» erbaut, ist der Bahnhof Richterswil einer der besterhaltenen Bahnhöfe aus der Frühzeit der Schweizer Eisenbahnen. Und der einzige dieses Typs am linken Zürichseeufer, der nicht abgerissen wurde. «Lautes Pfeifen» Gasparini kommt aus dem Schwärmen fast nicht heraus: Der Buchenboden und die Stuckaturdecke gäben der Wohnung die Ambiance, die dem Haus entspräche. «Und diese Seesicht», sagt er und zeigt über die Gleise. Leider habe es vor vielen Jahren auch einen Todesfall gegeben. Ein Mädchen habe es nicht mehr rechtzeitig über die Gleise geschafft. An das Pfeifen dieses Zuges wird er sich wohl für immer erinnern. «Wenn ich zu Hause bin und ein lautes Pfeifen höre, habe ich jedes Mal einen Schreck.» Er hat aber auch schon einem Mann, der vom Perron fiel, das Leben gerettet. Doch das ist eine andere Geschichte.
Daniele Gasparini.
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