Mit halben Wahrheiten gewinnt man nicht
2,6 Prozent der EU-Bürger in der Stadt Zürich beziehen Sozialhilfe. Bei den Schweizern sind es 3,6 Prozent. Mit diesen Zahlen erweckte der Zürcher Stadtradt Martin Waser einen falschen Eindruck.
Führt der freie Personenverkehr zur Einwanderung in die Sozialhilfe? Rechtsbürgerliche Kreise hatten diese Frage schon mit Ja beantwortet, bevor die Europäer schrankenlosen Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt erhielten. Seit Südeuropa in der Dauerkrise ist und sich die Einwanderungszahlen als permanent höher erweisen als prognostiziert, rückt die Frage auch für andere Kreise in den Fokus. Stellensuchende Italiener, Portugiesen oder Spanier, die in Notschlafstellen landen oder mit der ganzen Familie auf hiesigen Zeltplätzen campieren, haben die Diskussion weiter angeheizt.
Noch gibt es keinen Anlass zu dramatisieren, keine Hinweise, dass die Schreckensszenarien der SVP einträfen. Zwar ist die Sozialhilfequote bei EU-Angehörigen leicht höher als bei Schweizern. Das kommt aber vor allem daher, dass viele von ihnen in Branchen arbeiten, die anfällig sind für (Dauer-)Arbeitslosigkeit und damit für den Gang aufs Sozialamt.
Ebenso falsch ist jedoch, das Thema zu banalisieren. Tatsache ist, dass nicht nur hoch qualifizierte Beschäftigte ins Land kommen, wie es uns die Behörden lang gebetsmühlenartig eingebläut haben. Von der Personenfreizügigkeit profitieren auch Branchen wie der Bau, die Gastronomie oder die Landwirtschaft, die tiefere Löhne zahlen und zumindest teilweise schlechter Qualifizierte anstellen. Das kann und wird sich auf den Sozialstaat auswirken. Kontraproduktiv in dieser Hinsicht war der kürzliche Auftritt des Zürcher SP-Stadtrats Martin Waser. Die Sozialhilfequote von EU-Angehörigen in der Stadt Zürich mag tiefer sein als jene der Schweizer.
Weil Waser den Eindruck erweckte, die besondere Situation des Stadtzürcher Arbeitsmarkts gelte für das ganze Land, bekam seine Botschaft jedoch den Beigeschmack der unlauteren Propaganda, es war schlicht Stimmungsmache gegen die Einwanderungsinitiative der SVP, über die wir im Februar abstimmen. Wer glaubwürdig für das Erfolgsmodell Personenfreizügigkeit einstehen will, muss die Sozialbehörden auf mögliche Nebenwirkungen vorbereiten. Und er muss nüchtern über positive und negative Aspekte informieren. Mit Halbwahrheiten lässt sich diese Abstimmung nicht gewinnen.
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