Mit einem Rucksack voller Prosa
Gottfried Keller hat sich von Glattfelden und der Umgebung inspirieren lassen. Auf einem neu beschilderten Weg kann man den Entdeckungen des Dichters nachwandern.
Von Heinz Zürcher (Text) und David Baer (Fotos) Glattfelden – Man möchte sich in die Zeit Kellers schicken und wissen, wie es damals ausgesehen hat, dieses Paradiesgärtli. Heute ist der Aussichtspunkt auf dem Plateau des Laubbergs oberhalb von Glattfelden ein oft besuchter Ort. Die Holzbänke und -tische von wilden Waldpartys gezeichnet, die Wege ausgetrampelt, das Gärtchen dem Erdboden gleichgemacht. Ein Paradies stellt man sich anders vor. Aber: Der Ort hat Ausstrahlung. Der Blick ins Rafzerfeld, rüber ins Badenserland, wie es Keller in einem seiner Gedichte beschreibt, dieser Blick ist unverrückbar. Und dann ist da die Präsenz des berühmten Dichters, den man hinter einem der Bäume wähnt. Aus seinem Versteck hervorlugend, den dichten Bart kraulend, über die hastigen Besucher in Jeans und Shirt einen kurzen Reim improvisierend. «Du stiller Ort am alten Rhein», schrieb Gottfried Keller über das Paradiesgärtli in seinem Gedicht «Gegenüber» (siehe Kasten). Wie er es wohl schildern würde, das Rauschen, das nicht der Fluss erzeugt, sondern der Verkehr einer weit entfernten Strasse? Und plötzlich wird einem klar: Dieser Ort muss kahl wirken, er darf kein Paradies sein. Man muss es sich ausdenken, selbst ausmalen. Inspiration findet man nicht nur in der Ferne und am Aussichtspunkt, wo «Gegenüber» auf einer Tafel geschrieben steht und auf die Erwähnung des Paradiesgärtli in der Novelle «Romeo und Julia auf dem Dorfe» hingewiesen wird. Auch auf dem Weg zum Paradiesgärtli stösst man immer wieder auf Auszüge aus dem Werk Kellers: prosaische Leckerbissen als Zwischenverpflegung auf dem Weg ans Ziel. Im Tafelwald Sechzehn Tafeln sind in Glattfelden und Umgebung angebracht: Vom Bahnhof in Glattfelden bis zum Gottfried-Keller-Museum, hinauf zu den Rebbergen, durch den Wald ins Paradiesgärtli und weiter nach Zweidlen und Kaiserstuhl markieren Gedichte und Geschichten die Gegend, in welcher der grosse Dichter einen Teil seiner Jugend verbracht hat. Den Dichterweg initiiert haben Harry Bohnet und Bruno Rossi. Letzterer hat zudem weit über 100 Wegweiser regelmässig geputzt, instand gehalten und zurechtgebogen, wenn sie von Spassvögeln verdreht wurden. Dieses Jahr übergibt Rossi die Aufgabe an René Fröhlicher, ebenfalls ein Mitglied der Kulturkommission der Stiftung Gottfried-Keller-Zentrum (GKZ) in Glattfelden. Auf Anregung der Zürcherischen Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege sind die Wegweiser dieses Jahr ausgetauscht worden. Neu zeigen sie auf weissem Hintergrund das Konterfei Gottfried Kellers. Ersetzen lassen hat die GKZ-Stiftung auch die Orientierungstafeln bei den Bahnstationen Glattfelden und Zweidlen sowie beim GKZ und im Paradiesgärtli. Sie weisen auf die Wanderwege, Restaurants, Sehenswürdigkeiten und Anschlüsse mit dem öffentlichen Verkehr entlang des Dichterwegs hin. 15 Jahre ist es her, seit dieser beschildert wurde. Zehn Jahre nach der Eröffnung des Gottfried-Keller-Zentrums in Glattfelden. Bier aus dem Feuerwehrauto Nächsten Sonntag, zwischen 10 und 16 Uhr, feiert die Stiftung das kleine Jubiläum des Dichterwegs. Gäste werden bei gutem Wetter im Paradiesgärtli empfangen und von Mitgliedern des lokalen Feuerwehrvereins bewirtet. Aus einem alten Löschwagen zapfen sie Bier ab. Auch Würste, Kaffee und Kuchen werden angeboten. Zu den gleichen Zeiten geöffnet ist das Gottfried-Keller-Museum im Dorfzentrum von Glattfelden. Im Ausstellungsraum können die Besucher in das Werk und Leben Gottfried Kellers eintauchen. Mit einem Rucksack voller Eindrücke und Prosa ausgerüstet, ist man bald im Paradiesgärtli. Auf dem gut begehbaren Dichterweg erreicht man nach rund einer Stunde Wanderzeit das Plateau. Oben angelangt, löscht das Feuerwehrauto den Durst. Man nehme einen Schluck Bier, noch einen, blicke in die Ferne und denke nach, was jetzt wohl Gottfried Keller darüber geschrieben hätte. 15 Jahre Dichterweg, Sonntag, 12. September, 10 bis 16 Uhr: im Gottfried-Keller-Zentrum, Gottfried-Keller-Strasse 8 in Glattfelden. Bei guter Witterung wird zur gleichen Zeit im Paradiesgärtli eine Festwirtschaft betrieben. Besucher werden gebeten, zu Fuss dem Dichterweg zu folgen. «Da rauscht das grüne WogenbandDes Rheines Wald und Au entlang:Jenseits mein lieb Badenserland, Und hier schon Schweizerfelsenhang.Da zieht er hin, aus tiefer Brust Mit langsam stolzem Odemzug,Und über ihm spielt SonnenlustUnd Eichenrauschen, Falkenflug.»Mit Badenserland ist das Umland von Hohentengen D gemeint. Vom Paradiesgärtli aus sieht man auf das Gebiet. Der Felsenhang befindet sich direkt unter dem Aussichtspunkt. Auf einer Tafel sind dort die übrigen Strophen von «Gegenüber» zu lesen. (hz) Weisse Tafeln mit Kellers Konterfei weisen den Weg ins Paradiesgärtli (rechts). Nächsten Sonntag wird hier gefeiert. Am Ziel wartet die Aussicht auf das Wasserkraftwerk bei Rheinsfelden und die deutsche Gemeinde Hohentengen. Bildlegende.
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