Bluttat in PlymouthSechs Tote in sechs Minuten
Im britischen Plymouth hat ein Mann fünf Menschen, darunter ein 3-jähriges Mädchen, erschossen. Der 22-jährige Täter soll der frauenfeindlichen Incel-Szene angehört haben.

Eine Bluttat mit sechs Toten hat die südenglische Hafenstadt Plymouth in Schock und Trauer versetzt. Wie Polizeichef Shaun Sawyer am Freitag mitteilte, tötete ein 22-Jähriger zwei Männer sowie zwei Frauen und ein 3-jähriges Mädchen, bevor er sich selbst erschoss. Zwei Menschen wurden schwer verletzt.
Es handelt sich um den Vorfall mit den meisten Schussopfern in Grossbritannien seit mehr als einem Jahrzehnt. Das Tatmotiv blieb zunächst unklar. Einen terroristischen Hintergrund oder Verbindungen zu einer rechtsextremistischen Gruppierung schloss die Polizei aus. Britische Medien berichteten jedoch, der mutmassliche Täter sei der sogenannten Incel-Szene zuzurechnen.
Es sind sechs Minuten, die Plymouth, den wichtigsten Stützpunkt der britischen Marine, auf Dauer verändern könnten. Von «einem der dunkelsten Tage seit vielen, vielen Jahren» spricht der Abgeordnete Johnny Mercer. Der Bischof von Plymouth, Mark O’Toole, rief die Menschen zum Gebet für Opfer und Angehörige auf. Es liege ein «tiefes Gefühl von Schock und Trauer» über der Stadt, sagte er.
Erstes Opfer war die Mutter
Um kurz nach 18 Uhr (Ortszeit, 19 Uhr MESZ), so berichtete eine Anwohnerin der BBC, habe ein Angreifer die Tür eines Hauses im Stadtteil Keyham eingetreten und angefangen zu schiessen. Polizeichef Sawyer bestätigte später, dass Jake D. zunächst in einem Haus in einer Sackgasse eine Frau erschossen hat. Die Polizei bestätigte am Abend, dass es sich bei dem ersten Opfer um die 51 Jahre alte Mutter des Täters, Maxine, handelte. Zunächst hiess es lediglich, es gebe eine «familiäre Verbindung» mit dem ersten Opfer.

Nach aktuellem Stand der Ermittlungen erschoss der Täter zunächst seine Mutter in ihrem Haus in Plymouth, dann rannte er auf die Strasse und erschoss dort ein dreijähriges Mädchen und dessen 43-jährigen Vater, einen weiteren Mann und eine Frau. Zwei weitere Anwohner wurden durch Schusswunden verletzt. Anschliessend richtete der 22-Jährige die Waffe gegen sich selbst. Am Tatort wurde nur eine Waffe gefunden.
Menschen im Viertel «am Boden zerstört»
Die Bluttat sorgt auch deshalb landesweit für Entsetzen, weil Amokläufe in Grossbritannien selten sind. Die Waffengesetze sind streng. Der bisher letzte Fall ist gut elf Jahre her: Im Juni 2010 erschoss ein Mann im nordwestenglischen Gebiet Cumbria zunächst seinen Zwillingsbruder und einen Anwalt, Auslöser war offenbar ein Erbstreit. Anschliessend tötete er zehn weitere Menschen und verletzte etwa ein Dutzend, bevor er sich selbst erschoss. Der Täter verfügte über einen Waffenschein. Auch Jake D. hatte nach Angaben von Polizeichef Sawyer mindestens für das Jahr 2020 eine entsprechende Erlaubnis.
Die Menschen im Viertel seien durch die Brutalität des Angriffs «am Boden zerstört», sagte Plymouths Parlamentsabgeordneter Luke Pollard dem Sender Times Radio. «Keyham ist eine wirklich eng verbundene Gemeinschaft – es ist die Art von Ort, an dem man seinen Nachbarn kennt und aufeinander aufpasst.» Der Fussball-Drittligist Plymouth Argyle sagte eine Pressekonferenz ab und senkte die Fahnen am Stadion auf halbmast.
Premierminister Boris Johnson sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Oppositionschef Keir Starmer sprach von einer «Tragödie». Innenministerin Priti Patel kündigte unterdessen im Fernsehen Untersuchungen zu den Hintergründen der Tat an, insbesondere zum Waffenschein des Täters und der Rolle der Online-Aufrufe zu «Extremismus».
Incels: Hass auf Frauen
Der 22-jährige mutmassliche Täter soll der sogenannten Incel-Szene angehört haben. In sozialen Netzwerken habe Jake D. entsprechende Aussagen getätigt, meldete auch die Nachrichtenagentur PA.
Incel ist eine frauenfeindlichen Bewegung, die es seit etwa zehn Jahren gibt und deren Gedankengut sich immer stärker ausbreitet. Jugendliche und Männer aus Europa, Afrika, Asien, vor allem aus Nordamerika hängen ihr an. Sie heisst «Incel» – von «involuntary celibate», unfreiwillig enthaltsam.
Sogenannte Incels tauschen sich in Foren über ihren sexuellen Frust und Verschwörungstheorien aus. Über Frauen, die ihren Körper als Machtinstrument ausspielten und ihnen Sex vorenthielten. Der Feind sind Frauen, die Incels abweisen – und Männer, die viele Frauen abbekommen.
Vor Gewalt schrecken Incels nicht zurück. Vergewaltigungen und gar Mord gelten als legitime Mittel, um die Unterdrückung zu beenden. Incels haben Helden und Märtyrer, wie die Columbine-Attentäter von 1999, die in Tagebüchern notierten, dass Sex sie vielleicht noch umstimmen würde.
Der Kern der Incel-Theorie ist die Behauptung, dass die sexuelle Befreiung der Frau ein Ungleichgewicht zuungunsten weniger attraktiver Männer geschaffen habe. Demnach müsse Monogamie wieder obligatorisch werden.
SDA/AFP/red
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