«Mehr Zivilcourage statt Abgehobenheit»
Wolfgang Schaft arbeitet seit einem halben Jahr als Priester in der katholischen Kirchgemeinde Glattfelden-Eglisau-Rafz. Er lebte schon überall auf der Welt.
Glattfelden. - «Ich spürte einfach, dass ich als Priester in die DDR gehen musste», sagt der gebürtige Deutsche Wolfgang Schaft. Vier Monate vor der Wende machte er eine Reise durch das Gebiet der ehemaligen DDR und sah, dass Not herrschte und sich die Menschen nach seelsorgerischer Betreuung sehnten. So bat er den Bischof seiner Diözese Freiburg, ihn dorthin zu schicken. 1992 zog Wolfgang Schaft nach Grevesmühlen an der Ostsee. Er kam nicht als «Wessi», sondern zeigte sich mit den «Ossis» solidarisch, lebte mit ihnen ihr Leben und gewann Anerkennung und Freunde. Schlangen im Pfarrgarten Wolfgang Schaft wurde 1932 in Stuttgart geboren, wuchs in Brandenburg bei Berlin auf und zog 1945 bei Kriegsende mit seiner Familie nach Singen, wo er sein Abitur machte. Er studierte in Freiburg, Paris und Luzern. Er war über zwanzig Jahre als Pfarrer in Lörrach tätig, bevor er 1984 für acht Jahre nach Madrid gerufen wurde, um dort die deutsche Gemeinde zu betreuen. «Ich sprach damals kein Spanisch», sagt er. Dieses habe er von den Taxichauffeuren und «on the job» gelernt. Das kam ihm später zugute, als er 1994 einem befreundeten Priester nach Ecuador folgte. In Santo Domingo los Colorados arbeitete er zwei Jahre als Missionar in einem Randgebiet der Stadt in den Tropen. Im Pfarrgarten lauerten die Schlangen, was ihn nicht weiter störte. Nach zwei Jahren zog Wolfgang Schaft weiter in die Indianermission bei Riobamba im Hochgebirge der Anden. In Yaruquies, einem Ort mit gegen 4000 Einwohnern auf einer Meereshöhe von 2800 Metern, baute Wolfgang Schaft eine Berufsschule für Handwerker und ein Spital. Im Andenhospital Chimborazo kam nebst der klassischen Schulmedizin auch das Jahrhunderte alte Wissen der eingeborenen Bevölkerung zur Anwendung. Dank einer grosszügigen Spende einer Cousine ohne eigene Nachkommen konnte er diese Bauten verwirklichen. Ausserdem unterstützte er die Landwirtschaft, baute und renovierte Kapellen und eröffnete einen Kindergarten. Wolfgang Schaft lernte die Lebensweise und Kultur der Einheimischen kennen und setzte sich damit auseinander. Er bedauert, dass heute vieles davon verloren gegangen sei. «Heute kleiden sich die Menschen europäisch, während zu Beginn seiner Südamerikazeit noch viele barfuss gingen und Ponchos trugen», sagt er. Wolfgang Schaft feierte mit den Menschen Gottesdienste, führte Taufgespräche, hielt Elternabende, erklärte den Hintergrund der Sakramente, führte die Sozialarbeit ein und bildete Laien für die Pfarreiarbeit aus. Menschen, die weder lesen noch schreiben konnten, zeigte er Bilder und erklärte ihnen so die Bibel. Die Indios waren mehrheitlich getauft. Dies geschah bereits während der Kolonialzeit und oft nicht freiwillig. Mikrokredite für die Armen Die meisten Menschen in Yaruquies waren arm. Oft kamen sie an seine Haustüre und baten um Almosen. Als Weisser mit einem Auto galt Wolfgang Schaft als reich. «Das Herz wurde schnell weich», sagt er. Doch er lernte, die Gelder gezielt einzusetzen, und gewährte kleinere Darlehen, die zurückbezahlt werden mussten, bevor ein neuer Mikrokredit aufgenommen werden konnte. So konnten die Menschen ihr Haus renovieren oder einen Kochherd kaufen und lernten den Umgang mit dem Geld. Das Zusammenleben mit einzelnen Menschengruppen - Familien, die im Dorf das Sagen hatten - war nicht immer einfach. «Sie fühlten sich als Nachkommen der Häuptlinge, unterdrückten die anderen und wussten sich zu bereichern», sagt Wolfgang Schaft. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte er 2003 nach Deutschland zurück. Zölibat ist unzeitgemäss «Ich möchte keine der Stellen missen, die ich innehatte», sagt er heute. Sie hätten ihn geprägt, und er habe viel gelernt. Auch mit Arbeitslosigkeit und Mobbing kam der Pfarrer in Kontakt. Es gebe viel Neid unter den Geistlichen. Man dürfe die Dinge nicht als gegeben hinnehmen, sagt er und wünscht sich mehr Menschen mit Zivilcourage. Die Kirche empfindet er oft als «abgehoben» und weit entfernt von der Basis. Den Zölibat bezeichnet er als unzeitgemäss. Jeder Priester sollte sich dafür oder dagegen entscheiden können. «Was die Kirche selbst eingeführt hat, könnte sie auch wieder ändern», sagt er. Obwohl ihm selber der Zölibat nicht schwergefallen sei, würde er sich jetzt im Alter über eigene Kinder und Enkelkinder freuen, sagt er. So verbringt er oft seine Zeit mit den Kindern und Enkelkindern seiner Schwester, die in Lörrach lebt. Dies sei ihm Dank der Teilzeitstelle möglich. Ausserdem geniesst er Zürich als Kunststadt, besucht gerne Ausstellungen und Konzerte. Der pensionierte Wiedereinsteiger blickt auf ein reichhaltiges Leben zurück und fühlt sich noch fit: «Ich arbeite immer noch gern». Wolfgang Schaft hat tausend Ideen, die er noch umsetzen möchte. Im Pfarrhaus in Glattfelden fühlt er sich wohl. In dieser Idylle könnte er sich vorstellen, seine Memoiren zu schreiben.
Moderner Pfarrer: Wolfgang Schaft hält das Zölibat der Kirche für «unzeitgemäss».
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