Gesprächsreihe im Sissacher Cheesmeyer«Manchmal hätte ich gerne den Schweizer Filz zurück»
Wie human kann Wirtschaft sein? Ein Gespräch darüber, wie die Wirtschaft mit sozio-ökonomischen und psycho-sozialen Herausforderungen umgeht – und über die Credit Suisse.

«Wirtschaftlicher Erfolg muss auch den Beitrag an die Gemeinschaft beinhalten», sagt ein langjähriger Wirtschaftsführer, «Unternehmen, die für die Gemeinschaft unverträglich sind, dürfen nicht erfolgreich sein.» Rolf Soiron (78), einst Verwaltungsratspräsident von Holcim, Lonza und Noble Biocare sowie im Basler Grossen Rat für die CVP, äusserte dies. In der von Ueli Mäder geleiteten Diskussion über eine mögliche Humanisierung der Wirtschaft traf er auf Susanne Leutenegger Oberholzer (75), langjährige Nationalrätin der SP, eine Ökonomin, bekannt für ihre Dossierfestigkeit. Die Humanisierung der Wirtschaft stand in der Gesprächsreihe «Für eine friedliche Zukunft» im Sissacher Cheesmeyer im Zentrum.
Es sei heute problematisch, wie sich Menschen mit Verantwortung, Macht und Einfluss verhielten, bemerkte Soiron. Sehr oft Leute aus dem Ausland. Ohne Bezug zur Gesellschaft und Gemeinschaft, in der sie wirkten. «Manchmal hätte ich gerne den Schweizer Filz zurück, denn er hatte auch positive Effekte», sagte Rolf Soiron, «die Leute an der Spitze wussten damals noch, wie es in ihrem Kanton zuging, weil sie dort auch Verantwortung trugen.» Heutige Gegebenheiten führten dazu, dass ganze Quartiere entstünden, in denen die Manager wohnten, «und die gehen nie in andere Quartiere, nie in eine normale Beiz – die Ausnahme ist der neue Präsident der UBS, Sergio Ermotti».
Für sie sei es klar, sagte Susanne Leutenegger Oberholzer: «Das ist ein Effekt der Globalisierung.» Den von Rolf Soiron angesprochenen Filz habe sie auch im Parlament erlebt. Wenn «General» Bremi aufgestanden sei, sei klar gewesen, was der Freisinn und der Rest der Bürgerlichen tun sollten. «Wenn jemand abwich, gabs Schimpfis von Ulrich Bremi», erzählte sie. Dass dieser Filz aufgebrochen wurde, sei «sehr positiv». Es brauche gesellschaftliche Veränderungen und demokratisch verankerte Strukturen.
Einer wie Alex Krauer
Moderator Ueli Mäder erinnerte daran, dass es auch Wirtschaftskapitäne vom Schlag eines Alex Krauer gab, dem verstorbenen Präsidenten von Ciba-Geigy und Novartis. «Alex Krauer war noch von einem politischen Moralverständnis geprägt, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch liberal war», sagte Mäder. Oft habe Krauer ihm zu seiner grossen Überraschung mitgeteilt, es ängstige ihn, wie die Wirtschaft sich konzentriere, während sich das demokratische Korrektiv aufweiche. «Daraus», so Mäder weiter, «entsteht ein Vakuum in der Gesellschaft, das autoritäre Kräfte stärkt.»
Susanne Leutenegger Oberholzer verwies darauf, dass wir in der reichsten Gesellschaft leben würden, die wir je hatten und dennoch gebe es sehr viel sichtbare und unsichtbare Armut: «Das darf in einer humanen Wirtschaft und Gesellschaft nicht sein.» Der politische Ansatz für eine humanere Wirtschaft und Gesellschaft sei mehr Gerechtigkeit, sodass alle Menschen am Wohlstand teilhaben könnten. Das bedeute auch Klimagerechtigkeit. Gerechtigkeit in Bezug auf die nächsten Generationen.
Rolf Soiron plädierte für mehr Sinn in unserem Arbeitsalltag und dafür, dass «Wirtschaft mehr als Börse ist, sonst kann sie nicht human sein». Wirtschaftlicher Erfolg könne nichts Kurzfristiges sein. Boni müssten sich am langfristigen Erfolg ausrichten. Bleibe dieser aus, müssten Boni in der Kasse bleiben oder zurückgenommen werden können. Missbrauch müsse von der Gemeinschaft öffentlich angeprangert werden: «Wenn man das tausendmal wiederholt, dann ist das wie der Pranger in der mittelalterlichen Stadt. Und niemand will dauernd am Pranger stehen.»
Die Sache mit der Credit Suisse
Ein Abstecher in die Abgründe der Credit Suisse durfte nicht fehlen. «Nichts gelernt», bemerkte Susanne Leutenegger Oberholzer trocken und verwies auf das Swissair-Grounding von 2001 und die UBS-Rettung von 2008. Beides sei «absehbar» gewesen wie nun auch der Taucher der CS. «Exorbitante Löhne ohne entsprechende Leistung», kritisierte sie, «ich glaube nicht daran, dass Heilsbringer Ermotti eine Änderung gelingt.» Würde es nicht gelingen, Grundlegendes zu ändern, sei der nächste grosse Crash bloss eine Frage der Zeit.
Rolf Soiron war Mitglied der bundesrätlichen Kommission «Too big to fail», die nach der UBS-Rettung «Lösungsansätze zur Milderung der Problematik aufzeigen» sollte. In der Kommission seien damals weitergehende Vorschläge gemacht worden, als sie die Verwaltung später dem Parlament präsentiert habe.
«Keine Toleranz»
Für die Finanzmarktaufsicht und das Finanzdepartment sei im Fall der CS schon lange ein Eingreifen möglich gewesen. Beispielsweise Ende 2022 als Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann die Unwahrheit über den Rückfluss von Kundengeldern erzählte. «Wenn es irgendwo keine Toleranz gibt bezüglich Präzision und Wahrheitsgehalt, dann ist es bei Wirtschaftsführung dieses Kaliber», so Soiron.
Susanne Leutenegger Oberholzer hielt auch mit Kritik am Bund nicht zurück. Sie errechnete, dass die Garantiesumme von 259 Milliarden Franken pro Kopf 30’000 Franken betrügen. «Die gleiche Finanzministerin, die das eingeleitet hat, will jetzt bei der AHV sparen», monierte sie. «Wollen sie das?», fragte Leutenegger Oberholzer rhetorisch ins Publikum, um gleichzeitig zu einer aktiven Beteiligung an der Demokratie aufzufordern: «Sie können viel mehr verändern, als sie glauben.»
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