Mamablog: Gedanken zum Älterwerden«Mama, du bist uralt!»
Für Kinder sind bereits Teenager alt – und ihre Eltern erst recht. Warum das unsere Autorin mittlerweile als Kompliment auffasst.

Als unsere Tochter etwa sechs war, fragte sie mich einst beim Altglasentsorgen: «Könnte uns nicht die alte Frau wieder mal hüten?»
«Welche alte Frau?», fragte ich. «Meinst du Grossmami?»
«Mama, Grossmami nenne ich Grossmami! Nein, die alte Frau!»
Und während ich eine weitere Dose entsorgte, suchte ein Scheinwerfer mein Hirn erfolglos nach Namen uns zugewandter alter Damen ab. Als auch sämtliche ergrauten Nachbarinnen verneint wurden, brachte ich sogar jene unbekannte, etwa 80-jährige Dame ins Spiel, die vor x Jahren in der Migros mal meine Kinder bespasste, damit ich in Ruhe einkaufen konnte. Doch die Tochter zuckte bei der Erwähnung dieses Engels nur ungeduldig die Schultern und rief: «Die, die uns amigs ins Bett brachte!»
Prädikat «scheintot»
Ins Bett brachte? Das hatte ausser uns doch nur jemand getan! Sie konnte doch unmöglich jene 13-jährige Schülerin meinen, die eine Weile lang unsere Babysitterin war? Jenes Mädchen, das bei mir solch mütterliche Gefühle weckte, dass wir nach dem Kino immer gleich heimgingen, damit es für sie nicht zu spät wurde?
«Meinst du Olivia?», fragte ich und liess vor lauter Irritation eine grüne Flasche in den Container der weissen sausen.
«Ja!», jubelte die Tochter. «Olivia, genau! Sag Mama, kann die alte Frau wieder mal zu uns kommen?»
Mein Lachanfall liess sogar den vorbeischleichenden Dackel zusammenzucken. Einmal mehr wurde sichtbar, wie oft die Tochter und ich gleiche Flaschen in verschiedene Container werfen. Und dass ich, wenn unsere 13-jährige Babysitterin für sie eine alte Frau ist, wohl das Prädikat «urururalt», wenn nicht gar «scheintot» trage.
Obwohl ich spät Mutter geworden bin und jede schlaflose Nacht meine Faltendichte zu verdoppeln schien, und obwohl ich energiemässig nie so gealtert bin, wie in jenen Jahren, als ich für zwei abhängige Energiebündel der Mittelpunkt des Universums war, habe ich mich damals doch irgendwie jünger gefühlt, als ich war. Wohl, weil jene Phase so deutlich mein Gebrauchtwerden markierte, ich ständig in Bewegung war und Trägheit keinen Platz hatte, so sehr ich sie mir auch wünschte.
«So jung chömemer nüme zäme!»
Doch im Schulalter der Kinder änderte sich das wie auch meine Selbstwahrnehmung schleichend. Immer häufiger kam es vor, dass die Kinder mir die Welt erklärten. Immer häufiger musste ich sie bitten, mir Kleingedrucktes vorzulesen, da ich meine Lesebrille mal wieder verlegt hatte. Und als mein Sohn kürzlich das Nachtessen mit «s’isch nice, Mama!» kommentierte, kam ich erst gar nicht dazu, mich über das Kompliment zu freuen, weil die alte Frau in mir gerade mit der Verarbeitung des Gedankens: «Wie redet der denn plötzlich?», beschäftigt war. All das sagt mir zweierlei Dinge: «Hui, sind die auf Zack!» Und «Hui, ich werde alt!»
Nun fristet das Älterwerden in unserer Gesellschaft ja kein glanzvolles Dasein. Obwohl wir alles dafür tun, möglichst alt zu werden, wird sein Zustand und das Schwinden unserer Energie und Attraktivität oft als Kränkung erlebt. Längst pfeift kein Bauarbeiter mehr vom Gerüst, wenn ich vorbeilaufe; und das wohl nicht, weil er in der Männergruppe besprochen hat, dass dies frauenfeindlich sei. Und das Geld, das ich früher in bunte Drinks investierte, kassiert heute mein Apotheker für die Batterie meiner Nahrungsergänzungsmittel. Das Älterwerden konfrontiert uns mit der Vergänglichkeit und mit jenen Grenzen, über die wir früher mit einem lachenden «So jung chömemer nüme zäme!» hinweggezogen sind.
Mein Innenleben, ein wahres Abenteuer
Ja, damals gehörte uns die Welt. Und auf eine andere Art tut sie das noch immer. Denn während mich meine Grenzen immer deutlicher in die Schranken weisen, führen genau sie mich auch zu einem Abenteuer, neben dem meine früheren Reisen in exotische Länder einer Kreuzfahrt mit 24-Stunden-Kuchenbuffet gleichen: der Entdeckung meines Innenlebens. Und dieses birgt einen Schatz an Unentdecktem, das jeden Amazonasforscher vor Neid erblassen lässt. Natürlich widme ich mich auch immer noch den Abenteuern im Aussen. Aber nicht mehr aus der Angst, etwas zu verpassen, oder weil man das halt so macht.
Ja, ich werde älter. Und in den Augen meiner Kinder bin ich wohl uralt. Aber wissen Sie was – ich finde das richtig nice.
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