Madonna, Prince, Mick – und André
Über 3000 Rockkonzerte hat André Béchir mit Good News in die Schweiz gebracht, jetzt ist Madonna dran. Das Geschäft habe sich mehr verändert als er selber, sagt er.
Kurz nach sechs Uhr abends steht er in der Tür und grüsst, stellt seine schweren Taschen ab mit den Verträgen drin, schaut auf dem Handy die eingegangenen Nachrichten nach, lässt die Lesebrille sinken und fragt: «Ist der Buchhalter schon da?»
Draussen stehen die ersten Leute vor dem Hallenstadion an, um Eric Clapton zu hören, den gebügelten Bluesmann. Drinnen gehen die Sicherheitsleute ihrer Arbeit nach, die Sanitäter, die Bühnenarbeiter, die Leute von der Produktion, vom Catering. Funkgeräte knacken, Bildschirme leuchten, Telefone läuten. André Béchir, Geschäftsleiter der Konzertagentur Good News, begrüsst alle mit Handschlag und per Du. Er fragt nach, will wissen und telefoniert. Sein Backsteinbüro ist hoch und schmal und fensterlos.
Dicke Verträge, tiefe Margen
Béchir wirkt entspannt. Der Abend läuft so, wie er es am liebsten hat, das heisst: Er hat alle und alles unter Kontrolle. «Ich suche die Fehler nicht bewusst», sagt er. Aber man könne Verantwortung nicht delegieren, darum sei er fast immer vor Ort. Béchir versteht seine Arbeit als Dienstleistung und bezeichnet die Zuschauer als Kunden; ihre Freude ist sein Glück.
Kurz vor sieben kommt Eric Clapton herein, umarmt den Veranstalter und verschwindet in der Garderobe von Jakob Dylan, der das Vorprogramm bestreitet. André Béchir hat fast alle Stars in die Schweiz gebracht und ist stolz darauf. Viele von ihnen kennt er persönlich und aus einer Zeit, als er noch mit Bart und langen Haaren herumlief und die Musiker etwas zu sagen hatten. «Die wilden Jahre des Rock n Roll sind vorbei», sagt er, «und die persönlichen Kontakte werden rarer.» Dabei habe er selber sich in all den Jahren weniger verändert als das Geschäft.
«Früher wars ein Spass»
Das sieht auch Peter Jackson so, der eben hereinkommt, Claptons Manager seit dreissig Jahren. «Früher wars ein Spass», kommentiert er seine Arbeit, «jetzt ists ein Geschäft.» Über Béchir sagt er nur Gutes: sehr angenehm, loyal und absolut zuverlässig. «Die ganze Welt kennt André, und er kennt auch uns.» Die Branche hat Béchir zum europäischen Veranstalter des Jahres ernannt, zum zweiten Mal nach 2002. Das freut den Geehrten, obwohl er die Öffentlichkeit nicht so sucht. «Meine Arbeit findet hinter den Kulissen statt», sagt er, «auch Konzerte bekomme ich selten mit.»
Dabei organisiert er sie seit 36 Jahren. Über 3000 von ihnen hat er abgehalten, von Patti Smith in der Roten Fabrik bis zu Madonna in Dübendorf. 1967 erlebte er als Fan Jimi Hendrix im Hallenstadion, vier Jahre später brachte er als Veranstalter Deep Purple in die Eishalle von Wetzikon. Damals fuhr er mit seinem Deux Chevaux herum und hängte Plakate auf. Die Gage der Band betrug 1200 britische Pfund plus Spesen, der Vertrag wurde per Handschlag geschlossen.
Ganze Tourneen gekauft
Bei späteren Konzerten bekamen Künstler und Entourage 80 Prozent der Nettoeinnahmen, 20 Prozent blieben dem Veranstalter. Seit amerikanische Grossagenturen wie Live Nation ganze Tourneen aufkaufen und dann das Geld weltweit eintreiben, steigen die Eintrittspreise und sinken die Margen. Ein Stehplatz im Hallenstadion kostet heute 80 Franken oder mehr. Trotzdem bleiben dem Veranstalter manchmal nur 2,5 Prozent der Nettoeinnahmen – und seine Unkosten.
Die Vorverhandlungen mit den Agenturen würden oft Monate dauern, sagen Leute in der Branche, dabei würden die Verträge immer dicker, von der anderen Seite aber manchmal nicht einmal unterschrieben. Dafür reisten die Künstler mit Anwälten und Buchhaltern an, sogar Börsenspezialisten. Alle Deals seien auf Gewinnbeteiligung hin ausgelegt, sagt der Zürcher Manager und Konzertveranstalter Hanswalter Huggler. Mit der Folge, dass «jeder ein bisschen den anderen täuscht und alle das wissen».
Warum tut er sich das an?
Punkt acht, auf die Minute genau, betritt Eric Clapton die Bühne und spielt das Stück «Tell the Truth» mit der Eröffnungszeile: «Tell me who's been fooling who?» Béchir hört sich ein paar Takte an und kehrt dann in sein Büro zurück. «Wir müssen fair sein und manchmal trotzdem den Bückling machen», sagt er über seine Arbeit. Das sei nicht sehr motivierend, wenn man seine Arbeit seit 36 Jahren korrekt ausführe. Manchmal frage er sich, warum er sich das alles antue. Béchir hat eine Partnerin, aber keine Kinder. Am liebsten macht er Bergtouren, meistens alleine.
In der Branche werden Gerüchte laut, er werde bald aufhören. Der 59-Jährige sagt dazu nur, er habe das Abgangsdatum für sich festgelegt. Vor acht Jahren hat Béchir Good News an den deutschen Konkurrenten Deag verkauft, angeblich für 400 Millionen Franken. Vor einem Jahr hat er die letzten fünf Prozent seiner Aktien abgestossen. Bis auf weiteres bleibt er noch Geschäftsführer. Auch beim Hallenstadion ist er bloss noch Kunde und nicht mehr Mitbesitzer, allerdings besitzt er für Rockkonzerte bis 2010 das Exklusivrecht. Er habe bis heute keinen Nachfolger aufgebaut, hört man, weil er niemanden neben sich dulde. Béchir weist die Kritik zurück: Über seinen Nachfolger, sagt er, müsse der Verwaltungsrat entscheiden.
Sport und Musik
Vorher bringt er noch Madonna in die Schweiz. Das ist ihm sehr wichtig, schon weil alle bisherigen Versuche gescheitert sind. Beim ersten Mal verlangte ihr damaliger Agent hundert Prozent der Garantiesumme, im Voraus einzubezahlen. Béchir lehnte ab, auch weil er den Agenten nicht kannte. Beim zweiten Mal scheiterte das Konzert an einem Fussballspiel zwischen FCZ und YB, welches das Stadion besetzte. Redet Béchir von Sport und Musik, kommt er in Fahrt. Er kann nicht verstehen, dass die Zeitungen vor jedem Match eine Vorschau und zu jedem Match einen Bericht schreiben, obwohl bloss ein paar Tausend Leute an die Spiele kommen, bei ihm das Stadion aber oft gefüllt ist.
Er kann noch viel weniger verstehen, warum die Basler Behörden vor vier Jahren, nach dem Konzert von Simon & Garfunkel im umgebauten Joggeli, den Polizeieinsatz doppelt so hoch verrechneten wie bei einem Fussballmatch. Simon & Garfunkel verursachten so viel Aufregung wie eine Tasse Kamillentee, was man vom Fussball bekanntlich nicht behaupten kann. Die Polizei müsse bei Konzerten viel länger arbeiten, argumentierte das Basler Sicherheitsdepartement. Béchir zog den Fall bis ans Bundesgericht und verlor. Seither finden in Basel keine Grosskonzerte mehr statt. Auch im neuen Letzigrund wurde bislang nur Sport getrieben. Béchir: «Unsere Kultur ist der Stadt Zürich eben zu kommerziell.»
Dabei nimmt die Stadt Zürich jährlich bis zu anderthalb Millionen Franken an Quellensteuern ein, dazu kommen die Umsätze für Übernachtungen, Gastronomie, Zulieferdienste und andere. Es könne schon sein, sagt Jean-Pierre Hoby von der Zürcher Kulturabteilung, dass die Verwaltung mitunter kleinlich auf Béchirs Anliegen reagiert habe. Er selber bedaure das sehr: «Ich finde nämlich grossartig, was er leistet.»
Eine Kränkung
Ob das genügt? Je länger man mit André Béchir redet, desto stärker wird seine tiefe Kränkung spürbar, vom Establishment weit gehend ignoriert zu werden. Ein klagender Grundton bestimmt seine Antworten. Béchir suche zwar nicht die Öffentlichkeit, sagen Insider, brauche aber die Anerkennung. Der grösste Kulturveranstalter der Schweiz dominiert die Szene, doch das reicht ihm nicht. Ungeachtet seiner Erfolge scheint er an einem Aufsteigertrauma zu leiden. Der gelernte Eisenbetonzeichner aus der Zürcher Provinz, Sohn eines Vertreters für Motorenöl, hat sich mit Ausdauer, Geschick und unermüdlicher Leistung hochgearbeitet. Er wurde dabei nicht gelassener und blieb misstrauisch. Er traue nur wenigen und könne nicht delegieren, hört man über ihn. «Wenn er Vertrauen hat, delegiert er viel», relativiert Veranstalter Huggler, der oft mit Béchir zu tun hat. «Aber er entscheidet alles selber.»
Bis heute liest Béchir alle Verträge und viele der eingehenden Mails selber, und er kontrolliert noch die kleinsten Rechnungen. Sein Gedächtnis für Details ist berühmt, seine Kontrollgänge auf dem Gelände werden gefürchtet. Er schaut persönlich nach, ob seine Sicherheitsleute und Platzanweiser parat sind, ob die Plakate am richtigen Ort hängen und auch das Richtige drauf steht.
Der Kontrolleur
«Ich respektiere ihn für das, was er geleistet hat», sagt Harry Sprenger von Free & Virgin, der zweitgrössten Konzertagentur des Landes. Béchir sei «sehr zuverlässig, ein fertiger Profi». Dem Konkurrenten ist aber auch aufgefallen, was viele über Béchir sagen: wie pingelig er sei. «Er schreit vielleicht nicht sofort herum, beharrt aber auf allem, was er will, und kann dabei sehr diktatorisch auftreten.» Das Kontrollbedürfnis seines Chefs gehe ihm gelegentlich auf die Nerven, gesteht ein Mitarbeiter, und es erschwere seine Arbeit. «André denkt nur in Schwarz oder Weiss», sagt ein Dritter, «Zwischentöne gibt es nicht bei ihm.» Er sei auch kaum je mit der Leistung seiner Angestellten zufrieden, hört man von anderer Seite; gehe etwas schief, seien immer die anderen schuld. Wie nachtragend er sein kann, haben auch Journalisten erlebt: Wiederholt entzog Good News dem TA die Pressekarten, weil ihm die Berichterstattung nicht passte. Noch diese Woche gab es ein Scharmützel, wenn auch ohne Folgen.
Wie viele aufgestiegene Alleinunternehmer erwartet Béchir von seinen eigenen Angestellten denselben unbedingten Einsatz, den er seit bald vierzig Jahren selber erbringt: bis nach Mitternacht vor Ort zu sein und morgens um neun wieder im Büro zu stehen. Auch deshalb habe er nach knapp drei Jahren gekündet, sagt Béchirs früherer Promotionschef Dano Tamásy. Der Lohn habe gestimmt, auch kümmere sich Béchir um seine Leute, behandle alle gleich und könne sehr witzig sein, wenn er Zeit habe. «Er kann aber nicht akzeptieren, dass nicht alle sechzig Stunden pro Woche für ihn arbeiten.» Spricht man Béchir auf seinen Führungsstil an, sein Misstrauen, seine Kontrollwut, begründet er es mit der Verantwortung, die er für so viele Beteiligte habe. Dass er die ernst nimmt, bezweifelt keiner.
Mehr als das Auge sieht
Im Hallenstadion geht ein weiteres Konzert zu Ende. Clapton winkt und geht, die Leute klatschen und gehen auch. André Béchir packt seine schweren Taschen, sagt tschau und fährt davon. Morgen um Viertel vor acht hat er die erste von mehreren Sitzungen. Am Abend wird er wieder hier sein mit seinen Verträgen und Anweisungen, diesmal für Neil Young, den er unbedingt bringen wollte, auch wenn viel weniger Leute ein Billett kaufen würden.
Neil Young wird auf die Bühne kommen und seine Gitarre anwerfen, wird seine wuchtigen Akkorde schlagen und dazu mir hoher Stimme singen, dass der Rock 'n' Roll niemals sterben werde, derweil die Leute im Saal aufstehen und nach vorne strömen werden; die Sicherheitsleute werden sie zurückhalten wollen, aber vergeblich, die Leute werden vor der Bühne stehen und Neil Young zuhören und seiner Zeile: «There's more to the picture than meets the eye.»
Derweil wird André Béchir wieder unterm Neonlicht sitzen und mit dem Buchhalter abrechnen. Und der mit ihm.
Béchir hört sich ein paar Takte an und kehrt dann in sein Büro zurück.
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