Madonna im Wald
Es ist ganz schön kalt für fromme Gefühle. Regisseur Samuel Schwarz und die Gruppe 400 Asa machen aus Lukas Bärfuss Religionsstück «Der Bus» einen Mix aus Freilichtspiel und Pfadiübung.
Beim Besteigen des Busses an der Gessnerallee erhält man einen Plastiksack mit Apfel und Minitaschenlampe, als «Survival-Paket», wie der Reiseleiter militärisch erklärt.
Am einsamen Waldrand, irgendwo bei Bassersdorf, prasselt bereits ein Feuer. Das Publikum sitzt auf Campingstühlchen, Armeewolldecken schützen notdürftig gegen die aufsteigende Kälte. Kein bisschen aber friert Hermann, der Busfahrer, der einen blinden Passagier entdeckt hat. Erika, eine junge Frau mit Langhaar und ovalem Madonnengesicht. Nach Tschenstochau, zur schwarzen Muttergottes in Polen, will sie und hat angeblich den falschen Car erwischt. Hermann ist ausser sich. Andrea Zogg wütet herzerwärmend, im Bündnerdialekt, auf Hochdeutsch und radebrechend englisch, weil Erika das am besten zu verstehen scheint. Doch die bleibt unbeirrt – Hagar Admoni-Schipper spielt das sehr schön.
Um mehr zu erfahren, hat sich das Publikum in Bewegung zu setzen. «Der Bus» als Stationendrama. Auf einer Schotterstrasse wird marschiert, ein Wiesenbord hochgeklettert. Die Fahrgäste von Hermanns Bus wollen endlich zur gebuchten Kur und zetern lautstark, der moribunde Herr Kramer krächzt immer wieder aus dem Wagen. Hermann versucht, Erika einem versoffenen Tankwart anzudrehen. Aber so leicht wird man eine Gläubige nicht los. Unerschütterlich Bibelsprüche zitierend, steht Erika da, eine kuriose Heilige, Provokation und Projektionsfläche.
Im Grab, das der mordwillige Hermann im Wald für Erika schaufelt, kommt es plötzlich über ihn. Er hat eine Erleuchtung. Im Licht des einzigen Scheinwerfers bleibt dem Chauffeur der Mund halb offen, und die Augen blinzeln zum finsteren Himmel. Der stärkste Moment der Aufführung. Er geht vorbei wie Hermanns religiöse Streifung. Und folgenlos scheint auch die feuchtfröhliche Liebesszene zwischen dem Tankwart und Erika, die nun hebräisch spricht und den Schnaps aus dem Kanister säuft. Fürs Publikum gibts den Rest und ein warmes Würstchen, während Hermann, fern auf der Wiese, um Seelenrettung fleht. Ein komischer Spuk.
Nach dreieinhalb Stunden, um halb elf, hält der Bus wieder an der Gessnerallee. Es ist ruhig geworden auf der Rückfahrt. Bilder kreisen im Kopf, grelle und schrille, intensive und stille. Plump wirkte das protestantische Mysterienspiel in der Kälte manchmal, unbeholfen, und doch wurde die Verklammerung von nächtlicher Landschaft, aufgeklärtem Zweifel und gläubiger Inbrunst zum Erlebnis.
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