Lynchmorde zwingen Whatsapp zu Änderungen
Das Weiterleiten von Nachrichten wird beschränkt – auch in der Schweiz. Grund dafür ist grassierende Selbstjustiz in Indien.
Ein Softwareentwickler ist in Indien von einem Mob zu Tode geprügelt worden. Die Meute habe den 32-Jährigen für einen Kindesentführer gehalten, teilte die örtliche Polizei mit. Der Mann war mit vier Freunden unterwegs, als die Gruppe in einem Dorf haltmachte. Als einer der Ausflügler dort Kindern Pralinés angeboten habe, seien Dorfbewohner argwöhnisch geworden, und es habe sich ein Mob gebildet.
Die Männer flohen in ihrem Auto, hatten aber nahe dem Nachbarort einen Unfall. Über Whatsapp wurde gleichzeitig die Falschinformation verbreitet, dass es sich bei den Männern um Kindesentführer handeln soll. Es versammelte sich erneut ein Mob um die Gruppe und schlug auf die Männer ein.
Die Polizei schritt ein, konnte den Tod des Mannes aber nicht mehr verhindern. Mehr als 30 Menschen wurden nach dem Vorfall festgenommen.
Zwei Dutzend Fälle von Whatsapp-Selbstjustiz
Der 32-Jährige ist nur eines von rund zwei Dutzend Todesopfern solcher Lynchmobs, die aufgrund von solchen via Whatsapp verbreiteten Gerüchten Jagd auf vermeintliche Kindesentführer machen. Auch eine öffentliche Aufklärungskampagne in den vergangenen Monaten konnte die Fälle von Selbstjustiz nicht einschränken.

In Indien gibt es mittlerweile rund 250 Millionen Whatsapp-Nutzer. Vor fünf Jahren waren es noch 36 Millionen. Günstige Smartphones und bezahlbare Datentarife führten zur rasanten Verbreitung des Nachrichtendienstes. Viele Inder gehen auf Whatsapp zum ersten Mal überhaupt online und glauben deshalb schnell, was sie auf ihren Telefonen lesen und sehen, schreibt die New York Times in einer Reportage.
Regierung und Polizei warnen die Bevölkerung nicht nur in Inseraten, sondern auch persönlich in den Dörfern vor den falschen Gerüchten, sehen sich gegenüber Whatsapp aber machtlos. Die Informationen wurden in den bisher bekannten Fällen in Gruppen geteilt und weitergeleitet. Damit ist für die Empfänger nicht mehr erkennbar, woher die Angaben stammen; meist scheint es, als würden Freunde oder Familienmitglieder die Nachrichten senden.
Auch in Indonesien, Myanmar und Sri Lanka wird mit Whatsapp zu Gewalttaten aufgerufen, teilweise auch gezielt Hass auf Minderheiten geschürt. Gemäss Whatsapp werden allerdings nirgendwo sonst so viele Nachrichten, Fotos und Videos weitergeleitet wie in Indien.
Änderungen betreffen auch die Schweiz
Diese Woche reisten Whatsapp-Manager von Kalifornien nach Indien, um sich mit Regierungsvertretern und anderen Persönlichkeiten auszutauschen. Dabei geht es nicht nur um Selbstjustiz, sondern auch um Wahlmanipulationen. So soll eine Partei Dutzende Whatsapp-Gruppen eingerichtet und Tausende Nachrichten versandt haben.
Gemäss der Facebook-Tochter verstosse das gegen die Richtlinien von Whatsapp. Im Sinn habe man stets einen privaten Nachrichtendienst gehabt, einen einfachen, sicheren und zuverlässigen Weg, um mit Freunden und Familien zu kommunizieren, heisst es in einem Blog-Beitragdes Unternehmens.
Um dem Missbrauch und der Selbstjustiz jetzt vorzubeugen, hat Whatsapp in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nun testweise Änderungen eingeführt, die weltweit greifen. So dürfen Nachrichten in Indien gleichzeitig nur noch an fünf andere Personen oder Gruppen weitergeleitet werden – bisher lag die Grenze bei 250. In der Schweiz und in anderen Ländern wurde die Limitierung auf 20 angelegt. In Indien wurde zudem ein Knopf entfernt, mit dem Nachrichten, Fotos und Videos schnell weitergeleitet werden konnten.
Weitergeleitete Nachrichten kennzeichnen
Bereits letzte Woche wurde die Kennzeichnung von weitergeleiteten Nachrichten angekündigt – was allerdings erst nach einem Update der App funktionieren soll.
Ob diese Lösungen gegen die Selbstjustiz-Problematik helfen, glauben zumindest Regierungsvertreter in Indien nicht. Whatsapp müsse viel mehr machen, hiess es am Donnerstag. Das Unternehmen müsse sich seiner Verantwortung stellen und nicht nur stumm zuschauen. Ansonsten werde man rechtlich gegen Whatsapp vorgehen.
Schliesslich lässt sich die nun eingeführte Beschränkung mit etwas Mehraufwand umgehen: Einerseits gilt die Limitierung nur für das gleichzeitige Weiterleiten, die gleichen Inhalte können also weiterhin an Dutzende Gruppen gesandt werden, einfach etwas langsamer und umständlicher. Andererseits können Nachrichten auch kopiert und dann an verschiedene Kontakte oder Gruppen geschickt werden. In diesem Fall greift die Limitierung gar nicht.
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