Eine KurzgeschichteLouise und Ferdinand
Flüsternd erzählt er, dass er ihr zu selten gesagt habe, wie sehr er mit ihr verbunden war.

Der alte Mann sitzt am grossen Tisch. Sein Gewand ist schlicht und doch auffallend. Dicker schwarzer Twillstoff. Das Sonntagskleid der Generation von damals. Am Gilet baumelt eine goldene Uhrenkette, und den schneeweissen gestärkten Stehkragen ziert eine schwarze Fliege.
Der Mann sitzt da, den Kopf gesenkt, und versucht mir mit stockender Stimme zu sagen, dass gestern Abend seine liebe Frau Louise gestorben ist. Nach kurzer Krankheit sei sie eingeschlafen. Er habe noch ihren letzten Atemzug gehört und dabei ihre Hand gehalten. Mit einem verklärten Ausdruck im Gesicht habe sie die Pforte des Himmelreichs überschritten.
Tränen rinnen dem alten Mann über sein zerfurchtes, aber interessantes Gesicht. Seine Hände ineinandergefaltet – ein Seufzer –, und nochmals sagt er: «Meine Frau Louise ist gestern Abend gestorben.» Sie sei nur kurz krank gewesen.
In seiner einfachen Sprache erzählt er von ihrem bescheidenen Leben auf dem Bauernhof, abseits vom Dorf.
Louise war eine starke Frau. Hilfsbereit und immer für ihn da. Frühmorgens beim ersten Hahnenschrei war sie schon mit ihm im Stall bei den vier Kühen. Später fütterte sie die Hühner, Schweine, und auch für den Hund und die Katzen wurde das Futter immer zur gleichen Zeit gerichtet. Tiere waren für Louise etwas Besonderes, sagt er.
Tränen tropfen auf das weisse Blatt vor ihm, wo er in akkurater Schrift die Todesanzeige für seine Louise aufgeschrieben hat.
Bei jedem Wetter sei sie auf dem Feld gewesen, und nie habe sie geklagt. Ein karges Leben, doch dank Louise wurde der harte Alltag hell und erträglich. Er denke in Demut an ihre Bescheidenheit. Gefestigt durch das gegenseitige tiefe Vertrauen, die Achtung dem andern gegenüber, die Ehrfurcht vor dem Leben und den Glauben, dass alles so sein muss, wie es ist, das sei der Grundstein ihres Durchhaltevermögens gewesen, trotz ihrer Armut und den vielen Entbehrungen und dem unerfüllten Wunsch nach Kindern.
Der Mann erzählt und erzählt, immer wieder verkrampfen sich seine Hände ineinander. Tränen tropfen auf das weisse Blatt vor ihm, wo er in akkurater Schrift die Todesanzeige für seine Louise aufgeschrieben hat.
Ich lasse den Mann reden, die Zeit steht für den Moment still, höre ihm zu und verspüre in seinen Worten die unendliche Traurigkeit, dass seine Louise ihn verlassen hat. Flüsternd erzählt er, dass er ihr zu selten gesagt habe, wie sehr er mit ihr verbunden war. Ohne sie hätte er seinen kleinen Bauernhof nie bewirtschaften können.
Seine traurigen Augen lassen mich den Schmerz des Abschiednehmens von seiner Louise sehen.
Louise sei ihm vorausgegangen, und all die Worte, welche er ihr nie gesagt habe, schreibe er jetzt in die Todesanzeige.
«Ich danke Dir für alles, was Du für mich getan hast. Du warst meine Stärke und mein Leben. Bald werden wir uns wiedersehen. Der Himmel wird uns wieder vereinen. In Trauer. Dein Ferdinand.»
Der Mann steht auf, gibt mir die Hand, seine traurigen Augen lassen mich den Schmerz des Abschiednehmens von seiner Louise sehen. Tief berührt denke ich an seine Worte und verspüre in mir ebenfalls Traurigkeit.
Der Mann stirbt drei Monate später.
«Louise und Ferdinand sind wieder vereint – in der Ewigkeit.»
Die kleine Traueranzeige hat in mir die Begegnung mit Ferdinand in Erinnerung gerufen, und ich sehe wieder sein trauriges Gesicht vor mir.
Theresa Walliser aus Sissach hat diesen Text vor 18 Jahren geschrieben. Heute schwer krank, hat diese Geschichte für sie nochmals eine neue Bedeutung bekommen.
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