«Logenplätze für Hühner» – die Wirklichkeit sieht anders aus
Die Fleischbranche beschönige die Hühnerhaltung, kritisieren Tierschützer. Nun haben sie gegen eine entsprechende Werbung Beschwerde eingereicht.

Schweizer sollen möglichst Schweizer Fleisch essen; das zumindest findet der Bund. Er unterstützt deshalb die Fleischbranche darin, für entsprechende Produkte zu werben, dies mit bis zu 50 Prozent der anrechenbaren Kosten. 2008 kamen 3,7 Millionen Franken aus der Bundeskasse, letztes Jahr 5,4; das ist ein Plus von 44 Prozent.
Betraut mit dem Marketing ist Proviande. Die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft will den Konsumenten einheimisches Geflügelfleisch schmackhaft machen. Eine ihrer aktuellen Kampagnen, die unter dem Titel «Logenplätze für unser Geflügel» läuft, ist jedoch höchst umstritten – nicht nur, aber auch wegen der Bundesgelder: «Der Staat soll das Greenwashing der Tierindustrie überlassen», sagt Tobias Sennhauser, Präsident der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TIF).

Die Tierrechtler haben letzte Woche eine Beschwerde bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission eingereicht, also jener Institution der Kommunikationsbranche, die prüft, ob Werbung die Konsumenten täuscht.
Gesamteindruck «irreführend»
Im strittigen Fall bewirbt Proviande jenes Programm, mit dem der Bund sogenannt besonders tierfreundliche Stallhaltungen (BTS) unterstützt. Die Werbung zeigt drei Masthühner in einem schönen Stall aus Holz; eines davon sitzt auf einem leicht erhöhten Holzbalken. Die Tierrechtler halten den Gesamteindruck der Werbung für «irreführend» und damit «unlauter».
Das Bild suggeriere fälschlicherweise eine Kleingruppenhaltung im Hinterhof als BTS-Standard. Die Realität sehe jedoch anders aus, sagt Sennhauser und verweist auf Zahlen des Schweizer Bauernverbandes. Demnach lebt ein Grossteil der Schweizer Hühner in Beständen mit über 5000 Individuen; 2016 zum Beispiel waren es 82 Prozent. Standard sind laut TIF auch nicht Holzställe, sondern industrielle Hallen mit automatisierter Fütterung, Wasserversorgung und Lüftung.
«Sachliche Information kann eine Bundesaufgabe sein. Werbung hingegen ist immer beschönigend.»
Die Tierrechtler beanstanden weitere Punkte. Den Masthühnern, so verspricht die Werbung, stünden «erhöhte Schlafplätze zur Verfügung, was ihren natürlichen Bedürfnissen entspricht». In Tat und Wahrheit würden Hühner in der Natur aber auf Bäumen schlafen, so Sennhauser. Auch bestünden die Schlafplätze gemäss BTS-Standard nicht aus Holz, sondern aus Kunststoffrosten. Zudem fänden längst nicht alle Tiere Platz darauf.
Beschönigend ist nach Einschätzung der Tierrechtler schliesslich die Aussage, wonach die Hühner «tagsüber stets Zugang zu einem Wintergarten» hätten. Der «Wintergarten» sei ein Aussenklimabereich, in den die Tiere gemäss BTS-Richtlinien erst vom 21. Lebenstag einen Auslauf haben müssen. Da aber die Hühner bei konventioneller Haltung üblicherweise im Alter von 22 bis 37 Tagen geschlachtet werden, verbringen sie die Mehrheit ihres kurzen Lebens im Stall, wie Sennhauser ausführt.
Proviande äussert sich zum Fall nicht: «Wir erachten diese Angelegenheit als laufendes Verfahren, zu dem wir bis auf weiteres keine Stellung beziehen.» Wann die Lauterkeitskommission ihre Beurteilung vornimmt, ist offen. Sie fällt zwar keine rechtlich bindenden Entscheide. Gleichwohl hat ihr Wort grosses Gewicht: Stehen Firmen wegen unlauterer Werbung am Pranger, droht ihnen ein Imageschaden. Deshalb akzeptieren sie die Entscheide der Kommission in der Regel anstandslos.
Im Bundeshaus neuer Anlauf für Werbeverbot
Der Fall gibt auch im Bundeshaus zu reden. Im letzten Sommer hat der Nationalrat entschieden, dass der Bund Fleischwerbung weiter subventionieren soll. Eine parlamentarische Initiative von Beat Jans, die das verbieten wollte, ist am Widerstand von SVP, FDP, CVP und BDP gescheitert. Die Werbung von Proviande bestätigt den SP-Politiker in seiner Haltung: «Sachliche Information kann eine Bundesaufgabe sein. Werbung hingegen ist immer beschönigend.» Jans will seine Forderung wieder aufs Tapet bringen. Gelegenheit dazu bietet womöglich die Massentierhaltungsinitiative, welche demnächst lanciert wird. Kommt sie zustande, wird Jans versuchen, sein Anliegen in einem etwaigen Gegenvorschlag unterzubringen.
Bürgerliche Parlamentarier indes sehen keinen Grund, von ihrer Haltung abzurücken. «Wenn jetzt ein Fall umstritten ist, soll das die Lauterkeitskommission beurteilen», sagt CVP-Nationalrat Leo Müller. Sollte die Werbung nicht lauter sein und die Kommission das so feststellen, werde und müsse die Werbung korrigiert werden. Müller hielte es aber für «unangemessen», wegen eines – notabene noch nicht beurteilten – Falls die Fleischwerbung nicht mehr zu unterstützen.
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