Livni ist Kronfavoritin für Olmerts Job
Die israelische Aussenministerin ist bereits heute die mächtigste Frau im Land. Doch nun zieht es Tzipi Livni an die Spitze ihres Staates.
Kritik werfe sie nicht aus der Bahn, sie werde klüger daraus, behauptet Livni von sich. Kürzlich stellte sie das Selbstlob unter Beweis. Sie preschte nicht vor wie im Mai vergangenen Jahres, als sie Premier Ehud Olmert wegen der schlechten Performance im Libanonkrieg des Sommers 2006 zum Rücktritt aufgefordert hatte, ohne selbst die Konsequenzen zu ziehen, als dieser im Amt blieb. Die ultimativen Forderungen überliess sie diesmal Verteidigungsminister Ehud Barak, dem Chef der Arbeitspartei. Zwei Tage nachdem der amerikanisch-jüdische Geschäftsmann Morris Talansky Israels Regierungschef in einer gerichtlichen Anhörung als leicht korrumpierbaren Lebemann bezeichnet hatte, erinnerte die Aussenministerin lediglich daran, dass auch in der israelischen Politik bestimmte moralische Werte gelten sollten.
Aussichtsreichste Kandidatur
Gleichzeitig ermunterte sie ihre Kadima-Partei, die Nachfolge für den unter Bestechungsverdacht stehenden Parteivorsitzenden zu regeln. Mit dem Entscheid, am 17. September eine Primärwahl abzuhalten, hat die Partei die Weichen für jene parteiinterne Ausmarchung gestellt, bei der Olmert nun nicht mehr antreten wird. In den vergangenen Wochen hat Livni dann Berater um sich geschart und auch Vertreter der linken und rechten Opposition konsultiert. Die Frau, die am 8. Juli ihren 50. Geburtstag feierte, wird ihre Chancen als aussichtsreichste Kandidatin für den Parteiposten ohne Zweifel wahrnehmen. Das Publikum steht dabei hinter ihr.
Gemäss allen Umfragen ist Livni gegenwärtig Israels beliebteste Führungsfigur. Während ihre männlichen Rivalen im politischen Wettbewerb der vergangenen Jahrzehnte im Korruptionssumpf versanken, blieb sie die Lichtgestalt, die ihren eigenen ethischen Ansprüchen genügt. Gerade deshalb traut man ihr zu, nach der legendären Golda Meir Israels zweite Ministerpräsidentin zu werden.
Ihre Herkunft aus einer für das Land prägenden Schicht mag dabei ebenfalls eine Rolle spielen. Ihr Vater Eitan Livni, ursprünglich Pole, war 1925 nach Palästina eingewandert. Noch unter dem britischen Mandat wurde er Operationschef der Irgun. Mit dieser militant zionistischen Untergrund-Organisation kämpfte er dafür, dem künftigen jüdischen Staat möglichst viel Land mit möglichst wenig Arabern zu sichern. Auch ihre Mutter Sara Rosenberg zählte zur Irgun-Prominenz. Wie Olmert, der aus dem gleichen Milieu stammt, wuchs Tzipi Livni im revisionistischen Kreis der Betar-Jugend auf, aus der die Kader des rechten Likud-Blocks hervorgingen.
Nach dem Militärdienst arbeitete die junge Frau vier Jahre für den Auslandgeheimdienst Mossad. Beim Versuch, mutmassliche palästinensische Terroristen in Europa «auszuschalten», soll sie in Paris nicht nur Bürogehilfin gewesen sein, wie die britische «Sunday Times» kürzlich enthüllte. Nach dem Rechtsstudium folgten zehn Jahre als Anwältin für Arbeits- und Wirtschaftsrecht. Als Leiterin der Behörde für Staatsbetriebe schob sie den Regulierungen der sozialistischen Pionierjahre einen Riegel. In dieser Zeit zog sie mit ihrem Mann, Naftali Spitzer, auch zwei Kinder gross. 1999 schaffte sie den Sprung in die Knesset als Abgeordnete des von Ariel Sharon mitbegründeten Likud. In dessen Kabinett wurde sie im März 2001 Ministerin für regionale Kooperation. Anfang 2003 wechselte sie an die Spitze des Ressorts für Integration, bevor sie Ende 2004 Justizministerin wurde. In dieser Eigenschaft war sie an der Entscheidung über einen einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen beteiligt.
Nachdem sich Sharon deswegen mit seinem Anhang überworfen hatte, wechselte sie ebenfalls zur Neugründung Kadima. Noch unter ihrem politischen Ziehvater wurde Livni im Januar 2006 Aussenministerin. Nach Sharons Schlaganfall im folgenden Monat war sie schon einmal als dessen Erbin im Gespräch. Damals liess sie Olmert den Vortritt, jetzt ist sie am Zug.
Gelernt aus den Treffen mit Abbas
Ob sich mit ihr an der Regierungsspitze in der israelischen Politik inhaltlich viel ändern wird, ist fraglich. Zumindest friedenspolitisch vertrat Livni bisher Positionen, die eher rechts von denjenigen des heutigen Regierungschefs liegen. Zwar liess sich die Aussenministerin nicht zweimal bitten, als ihr Premier sie mit der Leitung der israelischen Delegation betraute, die seit Annapolis wieder mit den Palästinensern über eine Zweistaatenlösung verhandelt. Sie habe sich aus rationalen Überlegungen für eine solche Lösung entschieden, denn nur auf diese Weise sei die Existenz des jüdischen Staates auf Dauer zu sichern, betont sie oft. Doch noch am 27. November, als der Friedensprozess in Annapolis neu lanciert wurde, schlug ihr das Unterbewusstsein ein Schnippchen. In ihrer Rede vor Diplomaten arabischer Länder bemerkte sie beiläufig, dass sie eigentlich an «das Recht des jüdischen Volkes auf das ganze Land Israel» glaube, womit sie zweifellos «ganz Palästina» meinte. Das im Elternhaus geprägte Geschichtsverständnis brach auch mit ihr durch, als sie zum 60. Jahrestag der israelischen Staatsgründung den Palästinensern riet, das Wort «Nakba» (Katastrophe) für die Ereignisse von 1948 aus ihrem Lexikon zu streichen. Erst dann sei die andere Seite «fähig, ihre eigene Unabhängigkeit zu feiern».
Freilich hat Livni ebenso wie Olmert in den Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und seinen Leuten in jüngster Zeit einen Lernprozess durchgemacht. Immer wieder benimmt sie sich indes so, als ob die Palästinenser ihr Recht auf einen eigenen Staat erst verdienen müssten, während es die Israeli immer schon hatten. Dieses Paradox vermochte sie als Aussenministerin nicht aufzulösen, es dürfte sie auch begleiten, wenn die Regierungsverantwortung ganz in ihrer Hand liegt.
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