Links gewinnt
Sommerroman (22) Wie Röbeli Soland im Gemeinderat die Beherrschung verliert Was bisher geschah: Röbeli Soland, Roli Winter, Franco, Fabia und Sarah treffen sich im Rathaus. Derweil sieht Gaetano in seinem Hotelzimmer verzweifelt fern. Alles spannte. Die silberne Uhr ums Handgelenk, der Gurt um den Bauch, der Hemdkragen um den Hals. Alles. Selbst die kleinsten Muskeln in Röbeli Solands rundlichem Körper hatten sich gestrafft. Heute würden die Bolschewisten sein Lebenswerk filetieren. 30 Jahre hatte er gebraucht, um von einem Bäckerssohn mit Mehl unter den Fingernägeln zu einem «Immobilienmogul» (er liebte den von der Presse verliehenen Titel) mit Goldringen an den Fingern aufzusteigen. Den Beruf seines Vaters hatte er immer gehasst, das frühe Aufstehen, das Kneten des zähen Teigs, das entwürdigende Anlächeln der alten Damen, die sich über verlaufene Cremeschnitten beklagten. Röbeli Soland hatte stets gespürt, dass er zu Höherem berufen war. Weshalb er kurz nach der Pensionierung seines Vaters die Bäckerei verscherbelt und sich sein erstes Haus gekauft hatte. Und jetzt kamen diese dahergelaufenen Provinzpolitiker und wollten ihm vorschreiben, wie viel Miete er verlangen dürfe. Da könnten sie ihn doch gleich nach Sibirien verbannen. Schweissbäche strömten seinen Hals hinunter. Es sah schlecht aus. Roli, dieser Kokainwaschlappen, hatte versagt. Die Grünliberalen bockten. Wozu hatte er Rolis Wahlkampf alle vier Jahre mit grosszügigen Spenden finanziert? Soland sass auf der Tribüne und hoffte auf ein Wunder. Die Sitzung begann. Eine ganze Stunde lang stritten unbekannte Gesichter mit schlaffer Rhetorik darüber, ob sie zwei Vorlagen zusammen behandeln sollten oder nicht. Stünde nicht sein Lebenswerk auf dem Spiel, wäre Soland längst wieder in seinen Cadillac Escalade gestiegen. Und hätte diese Nieten allein weiterschwafeln lassen. Endlich wurde die Behandlung der Motion «Senkung der Seefelder Mieten auf stadtübliches Niveau in 50 Prozent aller Liegenschaften» angekündigt. Soland sprang hoch und lehnte übers Geländer der Zuschauertribüne. Direkt unter ihm glänzte Rolis Glatze. Dieser Feigling tat so, als hätte er Soland nicht bemerkt. Am liebsten hätte er auf ihn runtergespuckt. Die SP-Rednerin, welche die Vorlage vorstellte, entsprach allen Vorurteilen, die Soland gegen Linke kultivierte: buntes Jacquet, ungefärbte graue, strähnige Haare, Augenringe. Ausserdem war sie unverheiratet und arbeitete beim Sozialamt. Solands Feindbild sprach mit unerwartet lauter Stimme. 20 Minuten lang. Soland verstand nicht alles. Trotzdem wusste er, dass es sich um kompletten Schwachsinn handelte. Wörter wie «Grosskapital», «soziale Durchmischung», «Renditedruck» und «Finanzkrise» schwirrten um seinen Kopf. Endlich hob seine Gegnerin zum Schlussplädoyer an: «Wir dürfen nicht dulden, dass rücksichtslose, gierige Kapitalisten unsere Stadt ruinieren und in ein ödes Reichenghetto verwandeln.» Irgendetwas explodierte in Soland. Eine solche Frechheit durfte er nicht unerwidert stehen lassen. «Du verbitterte linke Gans. Ohne meine grosskapitalistischen Steuern wärst du schon lange verhungert. Und jetzt willst du mir vorschreiben ...» Der Rest seines geschrienen Plädoyers ging in Empörungsrufen der Gemeinderäte unter. Sogar seine Freunde unter den Bürgerlichen starrten mit aufgerissenen Augen Richtung Empore. «Ich muss den Besucher auffordern, die Debatte nicht weiter zu stören. Beim nächsten Zwischenfall werde ich ihn abführen lassen», verkündete die Frau hinter dem Präsidentenpult. Soland – klatschnass, der Kopf so rot wie sein Lieblingswein – sank auf seinen Stuhl zurück. Offenbar liessen sich die Politiker nicht gerne dreinreden. Obwohl sie das bei anderen ständig taten. Soland schaute um sich, die anderen Zuschauer tuschelten. Seine Tochter Fabia sass in der Nähe, zusammen mit dieser Möchtegern-Künstlerin und einem Typen, der wie die männliche schwarzhaarige Version seiner verstorbenen Schwester Fränzi aussah. Alle drei lenkten ihre Blicke demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung. Mit seinem weissen Taschentuch wischte sich Soland den Schweiss von der Stirn. Die Debatte entwickelte sich zum Trauerspiel. Zwar teilten die Bürgerlichen zünftig aus. Roli Winter, dessen Augen wirr flackerten, beschimpfte die Linken als Cüplisozialisten, die auf Staatskosten die teuersten Wohnungen besetzten. Immerhin kämpfte Winter, wie Soland fand, der während der Polemik mehrmals losklatschen wollte, sich im letzten Moment aber dann doch beherrschte. Alle Attacken nützten nichts. In der Schlussabstimmung gewannen die Linken überlegen. Sogar die Pfeifen von den Mitteparteien unterstützten den Vorschlag. Soland wurde schwarz vor Augen. Wenn seine Berechnungen stimmten, würde das neue Gesetz ihn Einbussen von etwa 5 Millionen Franken kosten. Pro Jahr. Sein Plan, an der Stadtgrenze zu Zollikon eine Grossüberbauung mit mehrstöckigen Luxusapartments hochzuziehen, zerbröselte. Klagen würden nicht viel bringen, hatten ihm seine Anwälte erklärt. Trotz des Schwindels erhob sich Soland, trat gegen die Brüstung und schritt Richtung Ausgang. Rund 1000 Kilometer südlich wurde Don Lauro von ähnlichen Gefühlen geplagt wie Röbeli Soland. Auch ihm drohte Geldverlust. Soeben hatte er von seinem erbosten Stammkunden Rolando «Inverno» Winter erfahren, dass dieser bereits ein zweites Mal vergebens zum «Salzdepot» gegangen war. Inverno drohte sogar, sich einen neuen Lieferanten zu suchen, was Don Lauro unangenehm berührte. Der Zürcher gehörte zu seinen besten Kunden. In den Marmorsäulen seiner Villa spiegelte sich das sanfte Licht der Abendsonne, die sich auf die Amalfi-Küste senkte. In seinem Whisky-Glas (Talisker, ein guter Tipp von Inverno) knackten die Eiswürfel. Don Lauro räusperte sich. «Nico. Du bist mit diesem Scemo Gaetano aufgewachsen. Was würdest du an meiner Stelle tun?» Nico, der Don Lauro gegenüberstand, zog hastig an seiner Zigarre. «Ich würde dafür sorgen, dass so etwas nie mehr passiert.» «Ich weiss, was du meinst. Aber wäre das nicht eine zu harte Strafe?» «Nein, Don Lauro. Ich habe Gaetano falsch eingeschätzt. Du hast recht, er ist ein Scemo.» «Dann würdest du nicht an meinem Urteil zweifeln, wenn ich ihm Besuch nach Zürich schicken würde?» «Nein, Don Lauro. Natürlich nicht.» Don Lauro erhob sich langsam und klopfte auf Nicos Schulter. «Dann bestell mir Snozzi. Und organisier ein Ticket für den Nachtzug in den Norden.» Don Lauro schimpfte immer noch vor sich hin, als eine halbe Stunde später ein freundlich wirkender Mann um die 50 auf die Terrasse trat. Don Lauro hasste Versager, sie kosteten ihn Unmengen von Zeit und noch mehr Geld. Warum nur waren viele dieser jungen Kerle zu dumm, um eine Ladung Kokain in ein Zürcher Schliessfach zu legen? Es musste etwas mit den Computerspielen zu tun haben, mit denen die Bambini heutzutags erzogen wurden. Don Lauro reichte Snozzi ein volles Whisky-Glas, zeigte ihm ein Foto von Gaetano, flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr (darunter «Albergho Alpenblick») und drückte ihm nochmals die Hand. Immerhin. Auf Snozzi war Verlass. In den letzten 30 Jahren hatte ihn der gute Mann kein einziges Mal enttäuscht. Als Don Lauro wieder alleine war, liess er sich in seinen Sessel sinken und griff zu seinem Telefonino. Die untergehende Sonne rollte einen roten Teppich über das Meer. Gaetano war ausser Atem, als er sich meldete. Don Lauro unterbrach seine erbärmlichen Entschuldigungen. «Kein Problem, Gaetano. Es eilt nicht. Du hast noch zwei Tage Zeit.» Er hatte keine Lust, sich Gaetanos Versicherungen anzuhören, dass er eine neue Spur habe und es bis in zwei Tagen ganz bestimmt schaffen werde. Denn Don Lauro wusste, dass es nicht stimmte. Er drückte die Stimme weg. Und lauschte dem aufbrausenden Zirpen der Grillen. «Don Lauro hasste Versager. Sie kosteten ihn Unmengen von Zeit und noch mehr Geld. Warum nur waren viele dieser jungen Kerle so dumm?» «Stünde nicht sein Lebenswerk auf dem Spiel, hätte Röbeli Soland diese Nieten alleine weiterschwafeln lassen.» Im Rathaus muss Soland ? als Zaungast ? eine schwere Niederlage einstecken. Foto: Reto Oeschger
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