Kritik nach KundgebungLiestal im Auge eines nationalen Twitter-Sturms
Der Aufmarsch von Corona-Skeptikern im Baselbiet hat eine Gegenreaktion ausgelöst: Twitter-Nutzer machen ihrem Unmut über das Verhalten der Demonstranten Luft. Im Landrat verteidigt die Sicherheitsdirektorin das Vorgehen.

Wohlen, Chur, Liestal: Nachdem Kritiker der Corona-Massnahmen in den vergangenen Monaten massenweise durch die Strassen von Schweizer Gemeinden gezogen sind, erhebt nun eine Gegenöffentlichkeit ihre Stimme. Unter dem Hashtag #NoLiestal machen Tausende Twitter-Nutzer ihrem Unmut über das Verhalten der Corona-Skeptiker Luft.
Der Umstand, dass sich viele der Kundgebungsteilnehmer im Stedtli nicht an die Maskenpflicht hielten, erregt die Gemüter. «Hab die Schnauze voll von den selbstgefälligen Virusschleudern», schreibt der Satiriker Renato Kaiser. Dagegen wolle er nun seinerseits demonstrieren, aber «ohne andere anzustecken», sondern indem er sich unter #NoLiestal twitternd den Protestnoten anschliesse. Der entsprechende Hashtag versammelt – Stand Donnerstagnachmittag – über 20’000 Tweets und führt damit die Charts des Kurznachrichtendienstes an.
Unter den Onlinedemonstranten finden sich prominente Stimmen, Satiriker haben kleine Videos kreiert. So schlüpft Viktor Giacobbo in die Figur des Drogenjunkies Fredi Hinz, der fassungslos in die Kamera blickt und für die jüngsten Vorfälle in Liestal nur ein Kopfschütteln übrig hat. Giacobbos Kollege Mike Müller präsentiert sich auf Youtube als Baselbieter Security-Mann, der die Vorfälle in Liestal einzuordnen versucht: «Da bewilligen sie eine Demonstration von Maskengegnern und staunen dann, wenn keiner eine Maske anhat.» Im Baselbiet sei die Regierung halt «treuherzig».
Der Onlinedemonstration haben sich zahlreiche nationale Politiker aus dem linken Lager (Balthasar Glättli, Jacqueline Badran) angeschlossen, einen kritischen Tweet hat am Morgen aber etwa auch der Basler SVP-Grossrat Joël Thüring abgesetzt.
Der Hashtag NoLiestal führt die Twitter-Charts am Donnerstag an, gefolgt von #NoAltdorf. Im Urner Hauptort sollte am 10. April die nächste Kundgebung von Kritikern der Corona-Regeln stattfinden. Geplant war eine stehende Demo auf einem Bauernhof ausserhalb des Dorfkerns.
Die Urner Behörden haben die Veranstaltung aber am Donnerstag verboten: Es sei zu befürchten, dass die Kundgebung nicht korrekt – Stichwort Durchsetzung der Maskenpflicht – stattfinden könne, so die Kantonsregierung. Man habe aus den Ereignissen in Liestal gelernt.
Der Baselbieter Regierungsrat musste sich am Donnerstag seinerseits kritischen Fragen von Parlamentariern stellen. So hatten linke Politiker im Nachgang der Demonstration die Bewilligungspraxis des Kantons kritisiert sowie das Verhalten der Polizei, welche die Demonstranten gewähren liess. Auch der Opferkult von manchen Corona-Skeptikern, die sich etwa mittels «Judenstern» in Szene setzten, sowie Gewaltszenen am Rande der Kundgebung gaben zu reden.
Der Landrat hat sich in der Fragestunde kurz, aber eingehend damit befasst. Dabei erklärte die zuständige Sicherheitsdirektorin, Kathrin Schweizer (SP), schriftlich und auf Nachfrage auch mündlich, warum die Demonstration überhaupt bewilligt wurde und warum die zahlreichen Verstösse gegen die Maskenpflicht keine rechtlichen Konsequenzen hatten.
Polizei war «graduell überrascht»
So hätten keine ernsthaften Sicherheitsbedenken bestanden, um die Demonstration verbieten zu können, sagte Schweizer. Man habe nicht annehmen müssen, dass sich so viele um die Maskenpflicht foutieren würden. Auch der Nachrichtendienst habe im Vorfeld keinerlei Kenntnis davon gehabt. Sie gestand aber ein, dass Polizei und Behörden von der Entwicklung «graduell überrascht» worden seien.
Ein Eingreifen der Polizei zur Durchsetzung der Maskenpflicht beziehungsweise zur Verhängung von Bussen wäre unter den gegebenen Umständen mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern «unverhältnismässig» gewesen. «Denn beim Nichteinhalten der Maskenpflicht handelt es sich nur um eine Übertretung», sagte die Sicherheitsdirektorin.
Ebenfalls nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden die Veranstalter der Demonstration. Die Organisatoren einer Veranstaltung, so Schweizer, könnten nicht dafür haftbar gemacht werden, dass sich Teilnehmende nicht an die Maskenpflicht gehalten hätten. Diese treffe keine Garantenpflicht. Zudem hätten die Veranstalter mehrfach ausdrücklich auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht. «Im Übrigen wurde in der Bewilligungsverfügung auch keine Strafe für diesen Fall angedroht», erklärte die Sicherheitsdirektorin mündlich im Ratsplenum. Immerhin haben die Verstösse zur Folge, dass die Organisatoren im Baselbiet keine Demonstrationsbewilligung mehr erhalten.
Antisemitische oder faschistische Parolen schliesslich seien von der Polizei im Einsatzraum nicht wahrgenommen worden. Es werde allerdings noch geprüft, ob es Hinweise auf solche Vorfälle gebe, gab die Regierungsrätin bekannt.
Simon Bordier ist Nachrichtenredaktor und Kulturjournalist bei der «Basler Zeitung». Er begann 2013 als freier Autor bei der «Luzerner Zeitung», 2015 stiess er zur BaZ.
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