«Leute wie wir sind ein Auslaufmodell»
Nach 34 Jahren hört das Wirtepaar Anny und Werner Gröner im Küsnachter Fähnlibrunnen auf. Am 17. Oktober ist Schluss.
Mit Anny und Werner Gröner sprach Marcus May Wie war das damals, als Sie 1976 nach Küsnacht kamen? Werner Gröner: Unser Vorgänger hatte den Fähnlibrunnen damals innert kürzester Zeit heruntergeritten, es war eine richtige Dreckbeiz, als wir sie das erste Mal sahen. Es dauerte dann schon ein Weilchen, bis wir uns etabliert hatten. Das kann man sich im heutigen Küsnacht gar nicht so richtig vorstellen. Anny Gröner: Nein, niemals. Und trotzdem: Nach der Besichtigung damals standen wir an der Seestrasse, und mein Mann sagte nur, dass er in einer solchen Dreckshöhle nun wirklich nicht wirten wolle. Ich war anderer Meinung: Entweder wir nehmen die, sagte ich, oder wir hören mit der Suche auf. Was war ausschlaggebend? Anny Gröner: Die Lage direkt an der Seestrasse. Und das wunderschöne, heute unter Denkmalschutz stehende Wohnhaus, das mittlerweile uns gehört und wo wir weiterhin wohnen bleiben. Was schwebte Ihnen vor, was wollten Sie aus dem «Fähnli» machen? Anny Gröner: Einfach etwas Normales. Schon damals gab es verrückte Sachen, das wollten wir nicht. Mit diesen «Gault Millau»-Fritzen hatte ich nie etwas am Hut. Wir wollten für alle da sein, nicht nur für die «Gstopften». Auch heute gibt es noch ganz normale Leute im Dorf, man glaubt es kaum. Für die waren wir immer da. Und die sind auch immer wieder gerne zu uns gekommen. Haben Sie sich im Laufe der Jahre ein Stammpublikum erarbeitet? Werner Gröner: Selbstverständlich, ohne das geht nichts. Das Schöne nach so vielen Jahren ist, dass man sich kennt im Dorf. Wenn Familien mit ihren Kindern kommen, kannten wir die Eltern bereits, als sie selber noch kleine Kinder waren. Ist es immer noch so, dass über Mittag auch die Arbeiter kommen? Werner Gröner: Das war früher so. Heute sind es die Bürolisten. Die Büetzer gehen lieber in die Migros oder zum Güggelistand und essen im Auto. Was waren die wichtigsten Veränderungen in den letzten Jahren? Werner Gröner: Heute fahren die Jungen bereits nach der Lehre Auto. Das heisst primär, dass sie fast keinen Alkohol mehr trinken. Anny Gröner: Ich sage Ihnen, was wir hier früher an Alkoholmengen ausgeschenkt haben, das glaubt uns keiner. Wir hatten 25-Liter-Standflaschen Schnaps und Chrüüter im Keller. Da kam morgens um 9 Uhr keiner rein und fragte nach einem Café crème. Nein, da war bereits Kafischnaps angesagt. Auch die Gemeindeangestellten. Die kamen um halb neun und blieben eine Stunde sitzen. Nachmittags um halb vier kamen sie wieder zurück und breiteten ihre nassen Kleider zum Trocknen auf der Heizung aus. Sie blieben gleich sitzen und becherten weiter. Es lohne sich nicht mehr zu arbeiten, hiess es dann einfach. Und die Jungen? Anny Gröner: Da war ich immer streng und knallhart. Für mich hätte es nie eine gesetzliche Altersbeschränkung gebraucht. Wenn die heute ihren Flohdeckel – damit meine ich den Töffhelm – auf den Tisch knallen und ein Bier verlangen, sind sie bei mir an die Falsche geraten: Kommt nicht infrage. Heute ist das ein Riesenproblem mit all den Tankstellenshops und so. Was meinen Sie damit? Anny Gröner: Sie sollten sich die Szene am Wochenende mal ansehen beim Esso-Shop vorne. Da ist schnell jemand gefunden, der 18 ist und für die Teenies Alkohol kauft. Sehen Sie, der Kuchen bleibt genau gleich gross, egal, wie viele im Geschäft mitmischen. Je mehr aber mitmachen, desto weniger bleibt für den Einzelnen. Die Tankstellenshops und die längeren Ladenöffnungszeiten sind für uns Beizer kein Schleck. Das Gleiche gilt für die Promillegrenze und das Rauchverbot in Bars und Restaurants. Hat sich das inzwischen nicht wieder eingependelt? Werner Gröner: Mittlerweile hat sich das schon wieder etwas gebessert. Am Anfang merkten wir es aber stark. Haben Sie im Fähnlibrunnen ein Fumoir eingerichtet? Anny Gröner: Nein. Das würde sich kaum lohnen, denn Sie werden sehen, auch die werden noch verboten. In ein paar Jahren wird sogar das Rauchen im Garten untersagt. Davon bin ich überzeugt. Wir könnten unser Nichtraucher-stübli zu einem Fumoir umfunktionieren. Wie aber bringen wir den Rauch wieder raus, sollten wir dort mal ein kleines Bankett organisieren wollen? Das Verbot macht also keinen Sinn? Anny Gröner: Absolut nicht, denn wissen Sie, gegen 90 Prozent der Mitarbeiter in der Gastronomie rauchen sowieso, wovor will man die denn beschützen? Man munkelt, dass es im Lauf der letzten 34 Jahre über 50 Wirtewechsel im Dorf gab. Stimmt das? Werner Gröner: Das ist richtig. Manche hielten nicht lange durch, andere machten ihre Sache gut. Es ist nicht einfach, in einem Dorf wieder von vorne anzufangen. Einige Beizen sind dann auch definitiv zugegangen. Haben Sie eine Erklärungfür das Beizensterben? Werner Gröner: Das Konsumverhalten hat sich teilweise verändert. Essen über die Gasse gab es früher nicht. Schon vor 50 Jahren, als in Amerika die ersten McDonald's aufmachten, warnte mich mein damaliger Chef vor dem kommenden Übel. Und er behielt recht. Anny Gröner: Und Küsnacht ist nicht mehr das lebendige Dorf von früher. Am Abend trifft man keine Menschenseele mehr auf den Strassen. Das Vereinsleben stagniert; es fehlt der Nachwuchs. Früher hatten wir jeden Abend die Beiz voll mit Leuten. Zur Polizeistunde brachten wir die nur mit Mühe raus. Heute gehen alle früher heim. Nach der Gemeindeversammlung traf man sich noch zu einem Bier. Heute gibts einen von den Behörden organisierten Apéro. Wie schafften Sie es, trotzdem all die Jahre zu überleben? Werner Gröner: Mit guter Qualität und viel harter Arbeit. So, wie wir wirteten, haben wir im Dorf auch eine soziale Verantwortung übernommen. Bei den jungen Wirten ist das weniger üblich. Wir beide sind definitiv ein Auslaufmodell. Unsere Einstellung war immer, hundertprozentig für unsere Gäste da zu sein. Unser Nachfolger denkt ähnlich. «Früher kam am Morgen keiner rein und fragte nach einem Café crème. Da gings mit Kafischnaps gleich zur Sache.» Anny Gröner, 64 Werner Gröner mit Frau Anny im Garten des Küsnachter Fähnlibrunnen. Im Hintergrund ihr Haus. Foto: Daniel Kellenberger
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