Leuenberger erteilt den deutschen Grünen Nachhilfe
Der Alt-Bundesrat wurde von der Grünen-Bundesfraktion nach Weimar geladen. Dort erklärte er, weshalb Proteste wie beim Bahnprojekt «Stuttgart 21» in der Schweiz ausbleiben würden.

Moritz Leuenberger hat das Rezept. Der ehemalige Verkehrsminister weiss, wie man umstrittene Mega-Projekte wie den Gotthard-Tunnel gemeinsam mit der Bevölkerung ans Ziel bringt - ganz ohne den Einsatz von Wasserwerfern und Knüppeln. Nun steht der Alt-Bundesrat vor der Grünen-Bundestagsfraktion im deutschen Weimar und doziert über Bürgerbeteiligung. Selbst die Grünen in Deutschland können hier Nachhilfe gebrauchen.
Als Missionar komme er sicher nicht, sagt Moritz Leuenberger zu Beginn. Er wolle «nicht belehren», sondern nur berichten von den Erfahrungen in der Schweiz. 25 Jahre Planung und 11 Jahre Bauzeit hat die 57 Kilometer lange Tunnelröhre gebraucht - und vier Volksabstimmungen. Über die Linienführung entschieden die Bürger ebenso mit wie über die Finanzierung oder die Koordination mit der EU. Proteste wie beim Bahnprojekt «Stuttgart 21» blieben aus, die Kosten liefen nicht aus dem Ruder. Und am Ende sei das Vorhaben sogar besser geworden - eben durch die vielen Einwände, sagt Leuenberger.
«Volksabstimmungen sind mehr als eine Notbremse»
Die direkte Demokratie habe nicht nur Vorteile, räumt Leuenberger ein, aber durchaus einige - Planbarkeit und Verlässlichkeit etwa. Und mit einem «Missverständnis» will er aufräumen. Grundgedanke der direkten Demokratie sei nicht, den Bürgern die Möglichkeit zu geben, mit einer Volksabstimmung die «Notbremse» zu ziehen bei einer falschen Politik. Es gelte nicht das Prinzip «hier die Politik, da die Bürger». Nein, «die abstimmenden Bürger sind die Politik», sagt er.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast gibt sich nach dem Vortrag nachdenklich. In Deutschland herrsche tatsächlich eine «ganz andere Grundhaltung». Bürgerbeteiligung werde als «Akt der Gnade» betrachtet anstatt als «Menschenrecht». Demokratie im 21. Jahrhundert funktioniere aber anders. Die Menschen müssten schon in die Grundsatzentscheidungen mit eingebunden werden. Was ist das Problem? Welche Lösungsvarianten gibt es? Wofür entscheiden wir uns? Bei «Stuttgart 21» sei das nicht mal ansatzweise passiert.
Grüne wollen radikalen Gegenentwurf vorlegen
Nach dem Gespräch mit Leuenberger kündigen Künast und ihr Ko-Vorsitzender Jürgen Trittin an, ihre Fraktion werde an einer neuen Form für Planungsverfahren arbeiten und einen eigenen «radikalen Gegenentwurf» vorlegen. Das bisherige Verfahren müsse «vom Kopf auf die Füsse» gestellt werden. Künast räumt ein, auch die Grünen müssten in Sachen Bürgerbeteiligung weiter denken als bislang.
dapd/jak
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch