Letzte Legenden
Im Märchen siegt immer das Gute. Quentin Tarantino, Leo DiCaprio und Brad Pitt gehen mal nachschauen, ob das auch aufs Kinogeschäft zutrifft.

Der letzte Cowboy haust auf Hollywoods Brachland, gleich hinterm Autokino links. Spätabends, wenn er seinen Boss sicher nach Hause kutschiert hat, kehrt der letze Cowboy dorthin zurück. Dort wartet seine Liebste. Brandy, die Pitbulldame. Sie ist die Einzige, die Brad Pitt in «Once upon a Time in... Hollywood» umwirft. Sie ist auch die Einzige, die ihn knutschen darf. Mehr noch: Sie schlabbert ihm genüsslich durchs Gesicht. Zur Belohnung für einen langen einsamen Tag lässt Cliff Booth (Brad Pitt) dann Nassfutter aus der Dose in Brandys Napf schmatzen.
Dog und Underdog: Der letzte Cowboy scheint mit der Kleinheit seiner Welt im Reinen. His home is his caravan. Allerdings ein unsägliches Loch von einem Wohnwagen.
Karriere mit Knick
Die Szene ist eine der wenigen, die in Quentin Tarantinos neuem Kinowerk an Brad Pitts Figuren-Image zu kratzen wagt. Cliff Booth, quasi leibeigener Stuntman des abgehalfterten Fernsehwesternhelden Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), hat sonst alles, was ein kerniger Typ braucht, um unwiderstehlich zu wirken: einen Body aus Stahl, einen Hang zur Treue, einen dunklen Fleck in der Vergangenheit.
Selbstredend ist Cowboy Cliff zu abgeklärt, um auf verlockend eindeutige Angebote weiblicherseits – und solche stehen in Tarantinos ironisch verklärtem Blick auf das Hollywood von 1969 an jeder Kreuzung – ernsthaft hereinzufallen. Nein, Brad Pitt spielt den echten Helden. Viel zu geradlinig, allzu cool und auch zu langweilig, um wahr zu sein. Ein verkappter Märchenprinz eben. Archetypisches Dosenfutter für Publikumserwartungen.
Ein whiskeydurchtränkter Jammerlappen
Weniger geradlinig, ziemlich uncool, dafür überragend schlägt sich Leo DiCaprio durch seine Drehbuchanteile. DiCaprio rückt dem Teilzeitprivatier, Vollzeitalkoholiker und seelischen Achterbahnfahrer Rick Dalton so dicht auf den Leib, dass man versucht ist, zu glauben, ihm seien die Lebenslügen eines ausgemusterten Leinwandstars bestens vertraut. Rick jedenfalls hat den Paradigmenwechsel des Westerngenres von der 16-Millimeter-Schwarzweisszeichnerei zum nihilistischen Breitwandepos schlecht verkraftet. In seiner Villa am Cielo Drive in Beverley Hills zehrt er von Set-Souvenirs und alten Traumgagen. Ein whiskeydurchtränkter Jammerlappen. Eine echte Memme eben.
Sein Stunt-Double hat der Ex-Serienheld als Chauffeur und Kumpel angestellt. Rick redet, Cliff hört zu. So sind die Jobs symbiotisch verteilt. Es sei denn, Rick hat wieder den Blues. Dann erinnert der echte den falschen Cowboy an dessen Stärken.
Den Karriereknick und seine tragikomischen Nebenwirkungen auf Herrn wie Diener setzt Tarantino mit routinierter Raffinesse in Szene. Beiläufig führt der Regisseur und Drehbuchautor den zweiten Handlungsstrang ein, der den Film hollywoodhistorisch verortet und der schon im Vorfeld des Drehs reichlich Publicity-Staub aufgewirbelt hat: Seit fünfzig Jahren, seit dem 9. August 1969, ist der Cielo Drive ein berüchtigter Tatort. Hier überfiel ein Quartett der sogenannten Manson Family, einer satanistischen Kommune, das Haus des (abwesenden) Regisseurs Roman Polanski und ermordete seine Frau, die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate, sowie ihre vier Gäste.
Die Story will, dass Rick Dalton direkter Nachbar der Polanskis ist. Sie verkörpern den Zeitgeist, das Hippe am Hippietum, die heissesten Poolpartys, die neue Sorglosigkeit. Nichts stünde in krasserem Kontrast zu ihrem Lifestyle als der Lonely Wolf vom Anwesen nebenan.
Naive Form von Narzissmus
Die – man muss leider sagen – legendäre Bluttat der Manson-Bande bietet Tarantino im Folgenden ein Storygerüst, auf das er den Plot mehr und mehr stützt. Wenn Stuntman Cliff auf Ricks Dach klettert, um die Antenne zu reparieren, könnte er in Sharon Tates Zimmer spähen. Und als die Manson-Kundschafter den privaten Cielo Drive mit einer Rostbeule hinaufknattern, stellt sich ihnen Rick Dalton als erboster Spiessbürger in den Weg. Scheisshippies!, findet er. Ruhestörung beim Drinkmixen. Verträgt er gar nicht.
Für den Suspense mögen die Manson-Episoden gut sein. Das Herz des Films schlägt woanders. Es pocht eindringlich, wenn Rick mit sich selbst hadert, weil er die Lines am Set vermasselt, wohin ihn sein Agent (ein schön schmieriger Al Pacino) vermittelt hat. Das Hadern hilft. Im nächsten Take spielt DiCaprio genial.
Das Herz dieses Films hüpft auch vor Vergnügen über Margot Robbies Sharon Tate, die sich, vom eigenen Namen auf einer Werbewand verleitet, in die Nachmittagsvorstellung eines Kinos setzt. Sie legt die nackten Füsse aufs Polster vor ihr, schaut sich im Saal um, gluckst vor kindlicher Freude, wenn ihre Figur Lacher erntet. Eine naivere Form von Narzissmus sieht man im Kino selten. In solchen Momenten verzeiht man Tarantino, dass er so tut, als erzählte er die letzten aller Hollywoodlegenden.
In der Nacht zum 9. August 1969 legt sich Rick Dalton mit Kopfhörer in seinen Pool. In seinen Ohren dröhnen Oldies. Pitbull Brandy sollte dringend auf die Gasse. Der letzte Cowboy beschliesst, zur Abwechslung mal eine LSD-Zigarette zu rauchen. Es wird ihn in dieser Nacht noch ziemlich umhauen.
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