Die Gerichte sollen entscheiden
Wären ausländische Straftäter rigoros aus dem Land gewiesen und Schnellfahrer mit der notwendigen Härte bestraft worden, es hätte weder eine Raser- noch eine Durchsetzungsinitiative gebraucht.

Der Bundesrat und Teile des Parlaments wollen die «Via sicura»-Massnahme entschärfen, damit ein Raser nicht mehr zwingend zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und der Führerausweis für zwei Jahre entzogen werden muss.
Dieser fixe Straf- und Massnahmerahmen soll gelockert werden, damit die Gerichte wieder eine Einzelfallprüfung vornehmen können. Das Bundesgericht hat bereits in einem Grundsatzurteil festgehalten, dass es Fälle gibt, bei denen ein vorsätzliches Verhalten zu verneinen ist. Bei der damals vom Volk abgelehnten Durchsetzungsinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer war unter anderem ausschlaggebend, den Gerichten in ihrer Urteilsfindung nicht einen zu starren Rahmen vorzugeben, damit auch der Richterspruch zum Landesverweis eine Einzelfallprüfung bleiben sollte.
Die Gerichte standen damals aber eher ablehnend zur neuen Spruchkompetenz. Im Vorfeld der betreffenden Abstimmung hat die Schweizerische Richter-Vereinigung im Rahmen einer Vernehmlassung über die Ausschaffung krimineller Ausländer festgehalten, wonach der Entzug der Aufenthaltsberechtigung eine verwaltungsrechtliche Frage sei und zur Prüfung der EMRK-Konformität jeweils ein Amtsbericht der Migrationsbehörden einzuholen wäre.
In die gleiche Stossrichtung gingen die beiden Initiativen «Unverjährbarkeit bei sexuellen Straftaten an Kindern», welche mit 51 Prozent Stimmenanteil knapp angenommen wurde, sowie die «lebenslängliche Verwahrung von nicht therapierbaren, extrem gefährlichen Sexual- und Gewaltstraftätern», die vom Souverän mit 56,2 Prozent Zustimmung fand. Was haben alle diese Gesetzesänderungen gemeinsam?
Gefragt sind dringend mutigere Richterinnen und Richter, welche den gesetzlichen Strafrahmen konsequenter ausnützen.
Sie sind Ausdruck einer grossen Unzufriedenheit bis hin zu einem Misstrauen gegenüber unseren Gerichten. Wären ausländische Straftäter rigoros aus dem Land gewiesen und Schnellfahrer mit der notwendigen Härte bestraft worden, es hätte weder eine Raser- noch eine Durchsetzungsinitiative gebraucht. Und bei vielen Urteilen gegen Sexualstraftäter beschlich einen das ungute Gefühl, es würde über ein Kavaliersdelikt verhandelt, besonders dann, wenn die Tat schon etwas länger zurücklag. Auch hier wollte man mit der Unverjährbarkeitsinitiative Gegensteuer geben und für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Schliesslich die lebenslange Verwahrung, ein strafrechtliches Trauerspiel sondergleichen. Es wäre weitaus sinnvoller, bedeutend längere Freiheitsstrafen auszusprechen und den Strafrahmen vermehrt auszuschöpfen, anstatt die Urteile an die Psychiatrie zu delegieren. Kein Psychiater wird einem 25 Jahre alten Gewaltverbrecher attestieren, dass dieser in den kommenden 50 Jahren seines Lebens auf keine Therapie ansprechen wird. Gefragt sind dringend mutigere Richterinnen und Richter, welche den gesetzlichen Strafrahmen konsequenter ausnützen.
Vielleicht könnte der Gesetzgeber darüber nachdenken, eine Korrektur bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug vorzunehmen. Wenn jemand zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wird, wäre es weitaus sinnvoller, eine vorzeitige Entlassung frühestens nach der Verbüssung von 25 Jahren Inhaftierung zu überprüfen. Dadurch läge der Entscheid definitiv bei den Gerichten und die Urteile müssten nicht mehr im Dunstkreis von Verwahrung und Psychiatrie gefällt werden.
Markus Melzl ist ehemaliger Kriminalkommissär und Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt.
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