Labour, Partei ohne Juden?
Jeremy Corbyn gedenkt des Holocausts – und lässt die jüdischen Opfer unerwähnt. Seine jüdischen Parteikollegen verleugnet der Labour-Chef, während er gegenüber Muslimen eine paternalistische Haltung einnimmt.

Letzten Samstag, am internationalen Holocaust-Gedenktag, brachten britische Politiker auf Anregung des Holocaust Educational Trust ihre Gedanken zu Papier. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn absolvierte das Ritual. Die Ermordeten dürften niemals vergessen werden, schrieb er, und die Umstände, unter denen die Nazis an die Macht kommen konnten, müssten «verstanden werden».
Kritiker hielten Corbyn hinterher vor, die grösste ethnische Gruppe unter den Opfern des Holocaust mit keinem Wort erwähnt zu haben. Natürlich ermordeten die Nazis nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte sowie Regimegegner zahlreicher Weltanschauungen und Nationalitäten. Jeremy Corbyn könnte sich also darauf hinausreden, auch sie nicht genannt zu haben.
Und dennoch bleibt es skandalös, dass der Labour-Chef die Juden nicht explizit erwähnte, wird hier doch ein Muster erkennbar: Letzten September, beim Labour-Parteitag in Brighton, hielt Corbyn eine Abschlussrede, in der er kaum eine Minderheit unerwähnt liess: Muslime, Schwarze, Asiaten, Lesben, Schwule und Transsexuelle – sie alle hätten ihren Platz in der Partei. Nur die Juden nannte Corbyn nicht – und das, obwohl ein Redner nur einen Tag vorher vom selben Podium herab vom «verabscheuungswürdigen Staat Israel» geredet hatte; obwohl im Foyer ein anti-israelisches Flugblatt verteilt worden war, auf dem der Nazi-Funktionär Reinhard Heydrich zustimmend zitiert wurde; und obwohl alle grossen Zeitungen ausführlich diskutiert hatten, ob Labour ein Problem mit Antisemiten in den eigenen Reihen habe. Wäre es Corbyn in dieser Situation ein Anliegen gewesen, seine jüdischen Parteikollegen seiner Wertschätzung zu versichern, er hätte es nun tun können. Doch er tat es nicht.
Als wären sie schon gar nicht mehr da
Es ist kein Geheimnis, dass der Labour-Vorsitzende kein Freund Israels ist. Ein Zyniker könnte sagen, Corbyn sei wenigstens ehrlich, denn im Gegensatz zu vielen Israel-Hassern beteuert er nicht, ein Freund der Juden zu sein. Die verlogene Behauptung, wonach Antisemitismus und Antizionismus nichts miteinander zu tun hätten, macht er sich nicht zu eigen. Aber warum verleugnet er seine jüdischen Parteikollegen, als wären diese schon gar nicht mehr da?
Die Antwort auf diese Frage dürfte in der Demografie liegen: Knapp 300.000 Juden leben in Grossbritannien, aber drei Millionen Muslime. Wo das grössere Wählerpotenzial liegt, ist klar. Welch paternalistische Annahme dieser Strategie zugrunde liegt, ist Corbyn wahrscheinlich gar nicht bewusst: Zum einen glauben der Labour-Chef und seine politischen Freunde offenbar, Muslime verfügten anders als Anglikaner, Hindus, Katholiken oder gläubige Juden nicht über das nötige Abstraktionsvermögen, um ihre Religion als Privatsache zu betrachten.
Vor allem aber scheint Labours derzeitige Führung Muslime für unfähig zu halten, den Nahostkonflikt mit so viel Nüchternheit und Distanz zu betrachten, dass ihnen die blosse Anwesenheit von Juden nicht schon als Ärgernis erscheint. So werden Moslems wie trotzige Kinder behandelt, von denen nicht eingefordert werden darf, denselben Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben in einer multiethnischen Gesellschaft zu erbringen, der von allen anderen mit Recht erwartet wird.
Wer argumentiert wie Jeremy Corbyn, für den wird muslimischer Antisemitismus zur lässlichen Sünde. Zumal man sich auf dem linken Labour-Flügel, was Israels Rolle im Nahen Osten anbelangt, ohnehin mit den Islamisten einig ist.
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