Kurzfilm der Woche: Von der Stube in den Darkroom
«Metube» reflektiert das Phänomen Youtube mit einem Tenor, der nur am Anfang züchtig scheint.
Blass ist er, der Mann im biederen Pullunder vor der nicht minder biederen Blümchentapete. Er räuspert sich kurz, hält inne, dann schmettert er los: Immerhin die «Habanera» aus Bizets Oper «Carmen». Zur Stärkung tischt die Mutter noch Butterbrot und Milch auf. Im Hintergrund linst Maria Callas von einem Porträt: Die Sopranistin, deren «Habanera»-Darbietung Massstäbe setzte. Doch das Vorbild wird sogleich abgehängt: In «Metube» wird nicht der andere, nicht das Du zum Star: Es ist das Ich des vermeintlichen Nobodys, das die Bühne entert.
Youtube als Plattform der Selbstdarsteller, der unentdeckten Talente und talentfreien Entdeckten: Kein virtueller Ort hortet so viele Zukunftsfantasien, Dokumente des Scheiterns und Klickwunder, die aus dem Nichts kamen. «Metube» spielt mit diesem Möglichkeitsraum: Alles kann passieren, selbst wenn optisch zunächst nichts darauf hindeutet. Vielleicht ist es ein Paul-Potts- oder Susan-Boyle-Moment, der hier aufgebaut wird: Bei den «Britain's Got Talent»-Superstars hätte sie ja auch nicht grösser sein können, die Diskrepanz zwischen Stimme und Auftreten, zwischen Ton und Bild.
Aus bieder wird BDSM
Auch in «Metube» passen Ton und Bild plötzlich gar nicht mehr zusammen: Da wird ein Alter im Rollstuhl ans Klavier gekarrt, im Mund ein roter Ballknebel, der Cellist trägt ein Latex-Catsuit.
So wechselt der Tenor plötzlich Bühne, Rollen und Kostüme: Bald trägt er selbst das Rüschenkleid der Carmen, umringt von Männern in Lack und Leder; bald avanciert er zum blonden Barden in keuscher Bluse. Dann springt das Bild erneut, der geknebelte Greis macht den DJ und die «Habanera», nunmehr elektronisch verfremdet, verwandelt die Opernbühne in einen schwitzig-peitschenden Maskenball. Bis es der Mutter im Latexkostüm zu bunt wird: Sie stellt die Tapete auf Anfang – und hängt das Vorbild der Maria Callas wieder auf.
«Metube» des deutschen Regisseurs Daniel Moshel wurde seit Januar 2013 an zahlreichen Festivals gezeigt. Aktuell läuft er am Sundance Film Festival und wird im Music-Clips-Programm der Solothurner Filmtage gezeigt. Der Film wurde mit dem deutschen Webvideopreis 2013 ausgezeichnet. In der Hauptrolle singt der Tenor August Schram, der sich als Künstler für die Verschränkung von Kunst, Film und Gesang interessiert.
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