Kunstschatz gefunden – Spur führt nach Bern
Zwischen vergammelten Esswaren stiessen Fahnder in einer Münchner Wohnung auf 1500 verschollene Werke, darunter solche von Picasso und Matisse. Der Mieter finanzierte sich offenbar mit Verkäufen – auch in der Schweiz.
Bayerische Zollfahnder sind auf einen einmaligen Kunstschatz gestossen. Sie beschlagnahmten in einer Münchner Wohnung etwa 1500 verschollen geglaubte Bilder von Meistern der klassischen Moderne, wie das Magazin «Focus» in seiner neuesten Ausgabe berichtet. Darunter seien Werke von Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall, Emil Nolde, Franz Marc, Max Beckmann, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Ernst Ludwig Kirchner und Max Liebermann.
Die Aktion des Zolls habe bereits im Frühjahr 2011 stattgefunden. Die Behörden hielten sie bislang jedoch geheim. Am Dienstag wollen sie sich erstmal zu dem Fall äussern. Es soll am Vormittag um 10 Uhr eine Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Augsburg geben. Dabei sollten auch nähere Angaben zu den gefundenen Kunstwerken gemacht werden, teilte ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums in München mit. Regierungssprecher Steffen Seibert heute in Berlin: «Die Bundesregierung ist seit mehreren Monaten über den Fall unterrichtet.»
Keine zwingende Restitution
Durch die Vermittlung von Experten, die sich mit «Entarteter Kunst» und von den Nationalsozialisten geraubter Kunst auskennen, würden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg auch unterstützt. Laut «Focus» versuchen Kunstexperten seit der Sicherstellung der Werke deren Geschichte und die vorherigen Besitzer ausfindig zu machen. Bei den Bildern handele es sich um solche, die die Nationalsozialisten als «entartet» konfisziert, von jüdischen Sammlern geraubt oder verzweifelten Juden zu einem Spottpreis abgekauft hatten.
Trotz des klaren Unrechts, das der Sammlung zugrunde liegt, ist nicht gewährleistet, dass die Bilder den rechtmässigen Besitzern oder ihren Erben zurückgeben werden müssen. Denn das deutsche Recht sieht keine zwingende Restitution vor. Insbesondere bei Bildern, die der deutsche Staat verkauft hat, sieht es laut Angaben von «Focus» schlecht aus. Etwas besser ist die rechtliche Lage demnach bei Bildern, die Private verkauft haben. Regierungssprecher Seibert sagte, er habe «keine Informationen» darüber, ob aus dem Ausland bereits Besitzansprüche geltend gemacht worden seien. Das Finanzministerium verwies nur darauf, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg für alle Auskünfte zuständig sei.
Bei Reise von Zürich nach München kontrolliert
Ein erheblicher Teil der nun bei Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Bilder könnte gemäss dem Bericht wieder in seinen Besitz gelangen. Der 76-jährige Gurlitt lebte seit den 1960er Jahren zurückgezogen in einem Mehrfamilienhaus in München. Er sei dort aber nicht registriert gewesen, habe keine Sozialversicherungsnummer und sei den Behörden auch sonst nicht bekannt gewesen.
Diese wurden im September 2010 bei einer Routinekontrolle im Zug zwischen Zürich nach München auf ihn aufmerksam. Zollfahnder fragten ihn, ob er Geld zu deklarieren habe. Gurlitt verneinte und hatte danach auch tatsächlich nur 9000 Euro in 500er Noten dabei. Bargeld muss ab einem Betrag von 10'000 Euro deklariert werden. Dennoch fanden die Zollfahnder den Mann verdächtig. Sie liessen ihn mehrere Tage lang observieren und holten im Februar 2011 schliesslich die Erlaubnis für eine Wohnungsdurchsuchung.
Dort stiessen sie auf Berge von Müll, darunter Hunderte von Konservendosen, die zum Teil Ablaufdaten aus den 1980er Jahren aufwiesen. Alle Fenster waren verriegelt. Gurlitt musste seit Jahren ein Eremitendasein geführt haben. Möglicherweise ging er nie einer Arbeit nach. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er vermutlich mit dem Verkauf von Bildern: Die Fahnder fanden leere Bilderrahmen.
Geschäfte mit bekannter Berner Galerie
Laut Focus hatte Gurlitt im Laufe der Jahre Bilder an Galerien in Deutschland und der Schweiz verkauft. Namentlich genannt wird dabei der bekannte Berner Galerist Eberhard Kornfeld. Dieser gab demnach an, mit dem Deutschen Geschäfte gemacht zu haben und einige seiner Bilder weiterverkauft zu haben.
Es besteht auch der Verdacht, dass Gurlitt über ein weiteres Lager an Bildern verfügt. Denn noch im September 2011, mehrere Monate nach der Razzia in München, hatte er das Bild «Löwenbändiger» von Max Beckmann versteigern lassen – für 864'000 Euro. Gurlitt einigte sich sogar mit den Nachkommen des Kunstsammlers Alfred Flechtheim, die Ansprüche auf das Werk geltend machen konnten. Nach Abzug ihres Anteils und der Kommission für das Auktionshaus Lempertz in Köln dürften Gurlitt nach Schätzung von Focus noch etwa 450'000 Euro geblieben sein.
Kunsthändler der Nazis
Aufgekauft hatte die Werke Gurlitts Vater, ein bekannter Kunsthändler, in den dreissiger und vierziger Jahren. Die Nazis hassten ihn zwar, weil er die moderne Kunst verteidigte. Weil er aber sehr gut vernetzt war, arbeiteten sie schliesslich mit ihm zusammen: Hildbrand Gurlitt durfte beschlagnahmte «entartete» Kunstwerke ins Ausland verkaufen. Ausserdem betätigte er sich als Aufkäufer.
Um die «Reichsfluchtsteuer» bei der Ausreise zahlen zu können, waren Juden gezwungen, Kunstwerke zu Schleuderpreisen an Sammler und Nazi-Parteibonzen zu verkaufen. So soll Vater Gurlitt in einem Fall 400 Werke für nur 4000 Schweizer Franken gekauft haben. Die bei seinem Sohn beschlagnahmten 1500 Bilder liegen inzwischen in einem Sicherheitstrakt des bayerischen Zolls in Garching bei München. Die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann versuche nun, die Herkunft und den Wert der Bilder zu ermitteln. Den Untersuchungen zufolge gehörten mindestens 300 der aufgetauchten Werke zu den verschollenen Exponaten der «entarteten Kunst». Für mindestens 200 Werke lägen offizielle Suchmeldungen vor.
AFP/rub
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