Lebensschiffchen in voller Fahrt
Anthony Doerrs Roman «Alles Licht, das wir nicht sehen» erzählt von einem seltsamen Paar in der Endphase des Zweiten Weltkrieges.

Dramatische Episoden der Zeitgeschichte werden gern als Stoff für süffige künstlerische Aufbereitung genutzt – auch wenn das dem strengen Auge des Moralisten nicht passen will. Der Untergang der «Titanic» – zu was für einem Blockbuster hat er hergehalten! Wie viel Millionen hat die bittersüsse Story des Liebespaares, das die tiefe See trennt, gerührt, wie viel Millionen hat sie eingespielt! Der Zweite Weltkrieg ist geradezu unerschöpflich als Dramatikvorlage. Und so wird sich mancher mit ein wenig Misstrauen einem Roman nähern, in dem ein amerikanischer Autor des Jahrgangs 1973 das Alte Europa oder wenigstens die Festungsstadt Saint-Malo als eine Art Titanic untergehen lässt, mit Tragödien, Feuerzauber und einem rührenden jungen Paar. «Alles Licht, das wir nicht sehen» ist aber kein Histo-Kitsch, sondern ein ambitiöses und diese Ambitionen brillant einlösendes Stück Literatur. Anthony Doerr hat dafür zu Recht gerade den Pulitzer-Preis erhalten.