Kritik an Haftbedingungen im Waaghof
Nach Selbstmorden reden Insassen von unhaltbaren Zuständen im Basler Untersuchungsgefängnis.

Innerhalb eines Monats passierte es gleich zwei Mal: Am 16. Mai nahm sich ein 73-jähriger Schweizer im Untersuchungsgefängnis Waaghof das Leben, und am 12. Juni erlag eine 29-jährige Frau aus Sri Lanka den Verletzungen, die sie sich bei einem Selbstmordversuch hinter Gittern zugefügt hatte.
Im Fall des Schweizers handelte es sich um einen Mann, gegen den Untersuchungen im Zusammenhang mit einer Tat liefen, die er vergangenen Herbst an der Steinentorstrasse mit einer Pistole begangen hat. Seine Lebensgefährtin kontaktierte die BaZ und sagte, der 73-Jährige sei Tage vor dem Suizid psychisch stark angeschlagen gewesen. «Er hat mir gesagt, dass er Schluss machen will», erzählt sie. «Das musste die Gefängnisleitung gewusst haben. Sie haben unserem Gespräch ja zugehört und waren im Raum.»
Damit nicht genug, dass der Mann seine medizinisch bedingten Medikament nicht erhalten habe. Obwohl er es verlangte, habe es keine medizinische Betreuung gegeben, die aufgrund der Suizidgefährdung angezeigt gewesen wäre. Zudem sei der Mann mit einem Schal in die Zelle gelassen worden, mit dem er sich tötete. Die Partnerin des Verstorbenen nennt das grob fahrlässig.
Der Fall mit der Frau aus Sri Lanka ist für die Menschenrechtsgruppe Augenauf Basel «nur die Spitze des Eisbergs». Ihr Selbstmordversuch sei einer von vielen, die jährlich in der Schweiz «aufgrund von bevorstehenden Ausschaffungen» passieren, von denen die Öffentlichkeit in der Regel aber nichts erfahre.
Keine totale Überwachung
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt, das die Oberaufsicht über den Strafvollzug im Kanton hat, verweist darauf, dass es seit 1995 insgesamt zu vier Suiziden im Waaghof gekommen sei und die entsprechende Prävention in allen Gefängnissen ein dauerndes Thema sei, zumal sich hier Menschen in einer Ausnahmesituation aufhalten. Zu den konkreten Fällen nehmen die Behörden keine Stellung.
Im Grundsatz hält JSD-Sprecher Toprak Yerguz fest: «Suizide lassen sich leider nie vollumfänglich verhindern. Dies wäre allenfalls mit einer totalen und permanenten Überwachung aller Insassen möglich, was aber nicht menschenrechtskonform wäre.» Zu den Massnahmen zur Verhinderung von Suiziden gehörten insbesondere die Sensibilisierung und Aus- und Weiterbildung des Aufsichtspersonals, die Überwachung und psychiatrische Betreuung bei Anzeichen einer Suizidgefährdung bis hin zur Einweisung in die Psychiatrie.
Der BaZ ist ein weiterer aktueller Fall bekannt, bei dem ein Mann um eine psychiatrisch-therapeutische Massnahme gebeten habe. Ihm sei aber mitgeteilt worden, dass es nur eine medikamentöse Versorgung gebe, keine Gesprächstherapie. Eine solche allerdings habe sich der Insasse spezifisch gewünscht, um mit der belastenden Situation besser klarzukommen, erzählt ein Vertrauter des Insassen.
Die Behörden haben die Betreuungsschwachstelle offenbar erkannt. Gemeinsam mit dem Gesundheitsdepartement, das künftig die gesamte somatische und psychiatrische Betreuung übernimmt, will das JSD die Gesundheitsversorgung in den Gefängnissen überarbeiten. «Künftig wird – gerade für die psychiatrische Betreuung – ein ausgebautes Angebot zur Verfügung stehen», kündigt Yerguz an. «Wir gehen davon aus, dass wir den entsprechenden Ausgabenbericht noch dieses Jahr dem Grossen Rat unterbreiten können.»
Brief an Medien zurückgehalten?
Über Umwege hat die BaZ auch von einem Brief von Waaghof-Insassen erfahren, der bislang nicht an die Öffentlichkeit gelangte, obwohl die Insassen darum gebeten hatten. In diesem Schreiben kritisieren elf Personen die Haftbedingungen. Es geht um die Belegung der Zellen und die Frischluftzufuhr sowie die Temperatur in den Zellen. «Mehrere Menschen werden gleichzeitig wie kranke Tiere in Quarantäne und Isolation ohne Sauerstoff gehalten», heisst es. Wenn die Formulierung auch dramatisierend wirkt, so weist sie auf einen Umstand hin, den die Gefängnisleitung kennt: Die Fenster können nicht geöffnet werden, die Frischluftzufuhr und die Möglichkeit, die Räume zu kühlen, sind stark limitiert, Ventilatoren sind nicht erlaubt, weil sie als potenzielle Waffen gelten.
Eine Person, die mit einem dieser Häftlinge Kontakt hatte, sagt, der Brief sollte längst bei den Medien sein, was aber nicht der Fall sei. Problematisch sei das besonders deshalb, weil es im Schreiben um keine Informationen gehe, die ein Verfahren und Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft betreffen. Wird hier ein Schreiben zurückgehalten?
JSD-Sprecher Yerguz hält fest, dass im Untersuchungsgefängnis keine Briefe zurückgehalten, sondern sämtliche Korrespondenz von Untersuchungshäftlingen ausnahmslos an die verfahrensleitende Behörde weitergeleitet werde. Diese entscheide dann, ob der Brief dem Adressaten zugestellt wird. Laut der kantonalen Justizvollzugsverordnung dürfen Briefe und Mitteilungen nur dann zurückgehalten werden, «wenn sie sich auf ein hängiges Verfahren beziehen, anderweitig gegen den Zweck der Haft verstossen oder drohende, ehrverletzende oder verleumderische Äusserungen enthalten».
Das vorliegende Schreiben listet auf über drei Seiten die von den Insassen als problematisch empfundene Haftsituation auf und enthält Vermutungen, warum Behörden und Politiker nichts an der Situation ändern.
«Im Sommer zeitweise schwierig»
Das Untersuchungsgefängnis Basel-Stadt entspreche allen Standards von Schweizer Untersuchungsgefängnissen, hält Yerguz fest. «Als eines von ganz wenigen Schweizer Untersuchungsgefängnissen bieten wir auch in der U-Haft nach einer ersten Haftphase den Gruppenvollzug an.» Konkret bedeutet das: Die Inhaftierten können sich während mehreren Stunden ausserhalb der Zelle frei im Gemeinschaftsraum bewegen, die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen, Gruppensport treiben und einer Beschäftigung nachgehen.» Was die Luft- und Wärmesituation betrifft, so räumt das Justiz- und Sicherheitsdepartement ein, dass es «gerade im Sommer zeitweise schwierig» sei. «Das Thema ist erkannt und wird auf verschiedenen Ebenen angegangen: Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des JSD sowie des Bau- und Verkehrsdepartements hat sich der Problematik angenommen. Punktuelle Anpassungen, namentlich an Lüftung und Ventilatoren, wurden bereits vorgenommen», sagt Yerguz.
Um wirklich Verbesserungen zu erreichen, braucht es bauliche Anpassungen mit grösseren Eingriffen bei der Belüftungskonzeption des Waaghof-Komplexes. Zur Frage, ob und wie eine solche Verbesserung erzielt werden könnte, sei derzeit eine Machbarkeitsstudie im Gang, so Yerguz.
Ende 2019 soll der Erweiterungsbau Bässlergut in Betrieb gehen. Mit dem neuen Gefängnis werden Möglichkeiten geschaffen, auch kürzere Haftstrafen abzusitzen. Das Untersuchungsgefängnis Waaghof ist nicht primär für den Strafvollzug gebaut worden, sondern für die Untersuchungshaft. Weil es aber zu wenig Gefängnisplätze gibt, sind verurteilte Straftäter auch im Waaghof inhaftiert.
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