Krabbeltiere essen ist Kopfsache
Amerikaner würden eher als Inder Insekten probieren. Aber wie kommen die Produkte in der Schweiz an?

Der Beutel frittierter Grillen hat kaum 1 Franken gekostet, damals, auf einem Markt in Mexiko. Der Snack war billig, die Überwindung gross: Die dornigen Beinchen, der glatte Hinterleib der gesalzenen Tiere waren auf der Zunge zu spüren. Es knackte beim ersten Biss. Doch Grille für Grille sank die Hemmschwelle, die Tiere mundeten. Nussig, salzig, fettig, herrlich eklig – kann man essen. Und schliesslich gelten Insekten als Vernunft-Food der Zukunft, das die Ernährung der Weltbevölkerung sichern helfen könnte.
Doch die meisten Menschen verweigern den Verzehr. Wie sie diese Haltung begründen und was sie motiviert, doch Insekten zu probieren, haben die Psychologen Paul Rozin und Matthew Ruby in ihrer Publikation «Food Quality and Preference» untersucht. Eine kleine Erkenntnis gleich vorweg: Wer gerne Sushi isst, versucht auch eher mal Insekten.
Den ökologischen Fussabdruck verringern
Etwa 2000 essbare Insektenarten seien bekannt, schreiben Rozin und Ruby. Das ist ein üppiges Kriechtier-Buffet, von dem laut Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) gegenwärtig etwa 1 Milliarde Menschen gelegentlich auch essen. Die Tiere enthalten wertvolles Protein und verbrauchen bei der Zucht weitaus weniger Ressourcen als Rinder, Schweine oder Hühner. Grillen, Ameisen, Fliegen und Co. könnten also helfen, dass die Bewohner in Entwicklungsländern gut versorgt sind – und die überversorgten Bürger der Wohlstandsnationen ihren ökologischen Fussabdruck verringern.
Doch wenn es ums Essen geht, sind die Angehörigen – egal, welcher Kultur – heikel und pflegen ihre jeweils eigenen Abneigungen und Vorlieben. Darüber wollten Ruby von der australischen La Trobe University und Rozin von der University of Pennsylvania mehr wissen und untersuchten die unterschiedliche Haltung bezüglich Insektenverzehr in den USA und in Indien.
Die Amerikaner zeigten sich deutlich aufgeschlossener: 16 Prozent von ihnen hatten bereits Insekten gegessen. Unter den befragten Indern waren es hingegen nur 4 Prozent. 82 Prozent der Amerikaner waren bereit, solche Tiere zu probieren – ein wenig lieber als Zutat (wie zum Beispiel Mehl aus Grillen) als am Stück.
Bei Frauen sind die Vorbehalte grösser
Die befragten Inder waren skeptischer: Nur 34 Prozent waren bereit, Insekten zu kosten. Wobei die Zahlen etwas widersprüchlich sind: 48 Prozent der Inder sagten nämlich zugleich, sie würden Gerichte kosten, die ganze Insekten enthalten. So oder so: In Indien scheinen die Vorbehalte grösser zu sein als in den USA.
In beiden Ländern können es sich Männer eher vorstellen als Frauen, Krabbeltiere zu essen. Diesen Aspekt haben andere Studien in der Vergangenheit ebenfalls gezeigt, Männer scheinen, was den Insektenverzehr angeht, geringere Hemmungen zu haben.

Ekelgefühle stellen in den USA das grösste Hindernis dar, sich ganze oder verarbeitete Insekten auf den Teller zu laden, berichten Ruby und Rozin. Und hier kommt nun der Sushi-Aspekt ins Spiel. Als dieses japanische Gericht in den USA neu gewesen sei, hätten sich viele davor geekelt, rohen Fisch zu essen. «Aber Menschen überwinden Ekel durch Gewöhnung», sagen Ruby und Rozin, «deshalb werden weltweit auch viele Speisen gegessen, die durchaus widerwärtige Aspekte haben: Sushi eben, stinkende Käsesorten, fermentierte Fischsaucen und natürlich Insekten.»
Wer Gefallen an rohem Fisch findet, senkt damit offenbar generell seine Hemmschwelle vor unbekannten, tierischen Produkten. Diesen Zusammenhang fanden die Forscher in beiden Stichproben – in Indien und den USA.
Kuh vs. Fliege: Die ethische Dimension
Ekel vor Insektenprodukten liesse sich auch durch die Form der Zubereitung verringern, so die Psychologen. Mehle aus Maden oder Grillen können Backwaren beigegeben werden. Erstens schmecken solche Mehle angeblich recht mild, und zweitens helfe dies, sich an Insekten als Lebensmittel zu gewöhnen, argumentieren Ruby und Rozin.
Die befragten Inder legten besonderen Wert auf rationale Gründe, die für den Verzehr von Kerbtieren sprechen. Zum einen spielt der bereits erwähnte geringere Verbrauch von Ressourcen dabei eine Rolle. Zum anderen öffnet sich auch eine ethische Dimension: Vielen Menschen fällt es leichter, den Tod eines Käfers, einer Fliege oder eines anderen Krabbeltiers in Kauf zu nehmen als die Schlachtung eines Schweins, eines Rinds oder anderer Säugetiere.
Für ökologisch motivierte Vegetarier könnten Grillen und andere Insekten also einen akzeptablen Fleischersatz darstellen, so die Psychologen. Zugleich werfe dies aber eine Frage auf: Können Insekten Schmerz empfinden? Wenn ja, würde dies tierisches Leid vervielfachen. Für die gleiche Menge Protein müssten ungleich mehr Insekten sterben als etwa Rinder. Es bleibt kompliziert, wie oft beim Essen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch