Wir haben in der vergangenen Woche Artikel publiziert zu vernachlässigten oder sogar gequälten Tieren in der Landwirtschaft. Und zu einzelnen Betrieben, denen Hunderttausende Franken an Subventionen ausgerichtet werden, obwohl sie mit ihren Produkten am Markt genug Geld verdienen oder sogar selber sagen, dass sie eigentlich zu viel vom Staat erhalten.
Die Publikationen haben heftige Reaktionen ausgelöst. Zwei unversöhnliche Lager stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite sind die Bauern. Die grosse Mehrheit sorgt gut für ihre Tiere. Sie fühlen sich durch die Artikel unfair an den Pranger gestellt. Sie sind wütend, weil sie der Meinung sind, dass die Berichterstattung über mehr als 600 Verurteilungen gegen Landwirte wegen vernachlässigter Tiere und mehrerer Tausend Kürzungen von Direktzahlungen wegen Verstössen gegen das Tierwohl die ganze Branche infrage stelle. Es sei reisserisch, das so zu publizieren, sagt der Bauernverband, wenn die grosse Mehrheit der rund 50'000 Betriebe einen guten Job mache.
Da drängen sich Vergleiche auf: Man stelle sich vor, jedes Jahr würden über 600 Pflegerinnen und Pfleger verurteilt, weil sie Patienten in Spitälern oder Altersheimen vernachlässigt hätten. Würde man da verlangen, dass darüber nicht geschrieben wird, weil man damit die ganze Branche der Pflegenden verunglimpfen würde? Oder wäre es kein Thema, wenn Urteile von 600 staatlich subventionierten Start-up-Unternehmern bekannt würden, die gegen Steuergesetze verstossen hätten? Kaum vorstellbar.
«Der Bauernverband hat die Aufgabe, sich um diese vielen Problemfälle zu kümmern.»
Die Bauernbranche muss sich gefallen lassen, dass man über die gravierenden Vorfälle berichtet und Klartext spricht. Immerhin fliessen jährlich rund 4 Milliarden Franken an Steuergeldern in die Landwirtschaft.
Der Bauernverband hat die Aufgabe, sich um diese vielen Problemfälle zu kümmern und sich auf politischer Ebene dafür einzusetzen, dass mehr Kontrollen von Veterinärdiensten möglich sind und gleichzeitig überforderten Bauern geholfen wird. Statt den Überbringer der schlechten Botschaft – uns, die Medien – zu brandmarken, wie dies der Bauernverband nun als Reaktion tut, wäre es an der Zeit, das Problem ernst zu nehmen. Missstände in einer Branche aufzudecken, auch wenn die Mehrheit sauber arbeitet, ist die Aufgabe von recherchierenden Journalisten.
Auf der Gegenseite stehen die Konsumentinnen und Konsumenten. In den letzten Tagen haben sich Hunderte Leser ebenfalls mit viel Wut und Frustration in Kommentaren geäussert. Sie wollen keine Steuergelder einsetzen für Bauernbetriebe, die Tieren Qualen aussetzen. Sie verlangen, dass «Schweizer Fleisch» von Tieren stammt, das garantiert artgerecht gehalten wird, so, wie es das Gesetz verlangt.
«Obwohl es verboten ist, zeigen die Strafbefehle gegen Schweinezuchtbetriebe, dass Hunderte von Ferkeln ohne Schmerzlinderung kastriert werden.»
Aber auch die Konsumenten tragen an der Situation eine Mitverantwortung. Statt gegen den Bauernstand zu lamentieren, können sie ein Zeichen setzen. Wenn Chauffeure von Tiertransporten so viele Tiere laden, dass das Vieh zum Teil während der Fahrt verletzt wird oder gar verendet, hat das auch damit zu tun, dass heute alles immer schneller und immer billiger gehen soll. Ist es nicht so, dass wir zwar von tiergerechter Haltung schwärmen, im Lebensmittelgeschäft dann aber trotzdem immer mal wieder eher zum billigen Fleisch greifen als zum teuren, das hohe Tierschutzstandards verspricht?
Obwohl es verboten ist, zeigen die Strafbefehle gegen Schweinezuchtbetriebe, dass in der Schweiz immer wieder Hunderte von Ferkeln ohne Schmerzlinderung kastriert werden. Warum? Weil es billiger ist. Vielleicht gibt es Schweinezüchter, die kein Herz für ihre Tiere haben. Es ist aber anzunehmen, dass viele das tun, weil der Konsument günstiges Fleisch will, weil sie glauben, dass sie nur so am Markt bestehen können.
Ein Chauffeur erzählte in einem Artikel über Tiertransporte von seinen Zwängen. Er könne die gesetzlichen Vorgaben zum Teil gar nicht erfüllen. Obwohl es nicht erlaubt sei, seien Tiere teilweise viel zu lange im Transporter unterwegs. Wenn es für ihn und die Tiere aufgehen solle, müsste das Fleisch doppelt so viel kosten, aber das wolle niemand, sagt er. Er hat recht.
Die Bauern verrichten für die Gesellschaft eine wichtige Arbeit. Die überwiegende Mehrheit arbeitet extrem hart, um uns auf der Wanderung in den Bergen schöne Alpwiesen zu bescheren und Produkte zu liefern, die wir nicht missen möchten. Sich gegenseitig zu bekämpfen, bringt nichts. Es braucht einen offenen, problembewussten Blick auf die Landwirtschaft, vor allem auf die Tierhaltung. Und konsequenteres Handeln – sowohl beim Umgang mit fehlbaren Bauern als auch beim Kaufentscheid in der Lebensmittelabteilung.
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Köpfe einschlagen bringt nichts
Eine Artikelserie zu gequälten Tieren hat bei Konsumenten und Bauern wütende Reaktionen ausgelöst. Gefragt sind Konsequenzen.