Kneubühl soll unter Wahnvorstellungen leiden
Das psychiatrische Gutachten diagnostiziert bei Peter Hans Kneubühl Wahnvorstellungen. Der Gerichtspsychiater Martin Kiesewetter erklärt, was das bedeutet.
ICD 10, F 22.0. Die Abkürzung der Internationalen Klassifikation von Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation steht für «lang anhaltende, wahnhafte Störung». Dies ist gemäss gut unterrichteten Quellen die Diagnose des gerichtspsychiatrischen Gutachtens über Peter Hans Kneubühl, wie das Bieler Tagblatt in seiner heutigen Ausgabe berichtet. Der heute 68-jährige Mann erregte mit seiner spektakulären Flucht im letzten Herbst über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen. Diesem Ereignis ging ein jahrelanger Erbschaftsstreit mit seiner Schwester voraus. Während dieser Zeit schrieb Kneubühl seitenlange Briefe an die Behörden.
Charakteristisch an wahnhaften Störungen sei die allmähliche Entwicklung, meist über Jahre hinweg, erklärt der Zürcher Gerichtspsychiater Martin Kiesewetter.
Im Vordergrund stehe ein dauerhaftes, wahnhaftes Erleben. Typisch dafür sei der Verfolgungswahn, der für das Leben des Betroffenen bestimmend wird. Gleichzeitig sei das Wahnerleben das einzige hervorstechende Symptom. Menschen, die unter dieser Form einer wahnhaften Srörung leiden, haben gemäss Kiesewetter keine Halluzinationen und keine Denkstörungen wie etwa bei einer Schizophrenie. Betroffene seien in ihren intellektuellen und planerischen Fähigkeiten nicht eingeschränkt.
Therapie ist schwierig
Das Problem: «Die einzige Wirklichkeit, die für ihn existiert, ist seine eigene», so Kiesewetter, «und wenn sie durch die vermeintliche Bosheit der Umwelt bestimmt wird, kann sich der Kranke gegen eben diese Umwelt richten.»
Eine Therapie gegen eine solche wahnhafte Störung gebe es kaum. Im Verlauf gebe es Abschwächungen. Etwa wenn es gelinge, die konfliktauslösende Situation, die für die Entstehung der Störung oft eine Rolle spielt, in den Hintergrund zu rücken und das Wahnerleben nicht mehr so lebensbestimmend werden zu lassen.
«Aber dass es einem Betroffenen durch gutes Zureden sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen fällt, das gibts nicht, so funktioniert das nicht», sagt der Experte. Denn das mache ja den Charakter des Wahnhaften aus: Die Überzeugung des Kranken ist seine einzige und dann eben auch unkorrigierbare Wirklichkeit. Und wenn dann jemand sage, das sei doch krank, ist dies erst recht wieder ein Beweis, «dass man etwas Böses mit ihm im Sinn hat», sagt Kiesewetter.
Was heisst schuldunfähig?
Das psychiatrische Gutachten bescheinigt Peter Hans Kneubühl Schuldunfähigkeit. Martin Kiesewetter erklärt, welche Bedeutung dies in unserem Schuldstrafrecht für die Strafzumessung haben könnte: «Um schuldfähig sein zu können, muss der Täter in der Lage gewesen sein, das Verbotene seines Tuns überhaupt zu erfassen.»
Doch sei Kneubühl offenbar der Überzeugung gewesen, «dass es ihm ans Lebendige geht». Die Einschätzung der Situation und seines Handelns sei ganz und gar durch das wahnhafte Erleben bestimmt gewesen. Für Kneubühl habe es keine Möglichkeit mehr zu einer «gesunden» Betrachtung eigener Erlebnis- und Handlungsbereitschaften gegeben.
Keine Strafe?
Somit sei aber die Einsichtsfähigkeit zu verneinen, und wer nicht einsichtsfähig sei, sei nicht schuldfähig. Und wem die Schuldfähigkeit fehle, «dem kann auch keine Strafe auferlegt werden», so Kiesewetter. Unabhängig von einer Schuldstrafe seien vorbeugende Strafen im Sinne von Behandlungs- oder Verwahrungsmassnahmen. Diese Massnahmen haben laut Kiesewetter das Ziel, die Gefahr weiterer Straftaten zu mindern.
Letztlich werde es im Ermessen des Richters liegen, über Kneubühls Schuldfähigkeit zu befinden. Und er werde, gestützt auf die Ergebnisse des Gutachtens, darüber entscheiden, ob die schlechte Prognose und sehr begrenzte therapeutische Erfolgsaussicht überhaupt die Anordnung einer Behandlungsmassnahme erlauben. Wenn nicht, werde das Gericht über die Notwendigkeit einer Verwahrung befinden.
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