Supraleitung bei RaumtemperaturKleiner Schritt zum grossen Traum von verlustfreiem Strom
Ein neues Material leitet elektrischen Strom bei Zimmertemperatur ohne Verluste, allerdings nur unter enorm hohen Drücken.

Im Fachmagazin «Nature» berichten Forscher von einem neu synthetisierten wasserstoffhaltigen Material, das elektrischen Strom bei rund 15 Grad Celsius, also nahezu bei Raumtemperatur, verlustfrei leitet. Allerdings wird das Material nur dann supraleitend, wenn es unter enorm starken Druck gesetzt wird.
Die Publikation von Forschern um Ranga Dias von der University of Rochester im US-Bundesstaat New York knüpft an frühere Experimente und Theorien an. Bereits 1968 hat der britische Festkörperphysiker Neil Ashcroft vorhergesagt, dass Wasserstoff bei starker Kompression vom gasförmigen in einen festen, metallischen Zustand übergehen sollte. Und dieses Metall könnte bei Raumtemperatur supraleitend sein, so die Prognose von Ashcroft.
Vor fünf Jahren gelang es Mikhail Eremets vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, eine Verbindung aus Wasserstoff und Schwefel in einer sogenannten Diamantstempelzelle so stark zu komprimieren, dass das ursprünglich gasförmige Material metallische Eigenschaften zeigte. Als die Forscher dieses Hybridmaterial abkühlten, wurde es bei einer Temperatur von minus 70 Grad Celsius supraleitend. Sukzessive konnte die Gruppe um Eremets und andere Forscher die sogenannte Sprungtemperatur weiter erhöhen, etwa mit Verbindungen aus Wasserstoff und Lanthan, zuletzt bis nahe an den Gefrierpunkt von Wasser.
Enormer Druck von 39 Millionen PSI
Bei Raumtemperatur gelang das den Forschern um Dias nun, indem sie Wasserstoff mit Kohlenstoff und Schwefel kombinierten, photochemisch veränderten und in einer Diamantstempelzelle einem Druck von 39 Millionen PSI aussetzten. Zum Vergleich: Ein Autoreifen wird auf rund 50 PSI aufgepumpt. Beim Abkühlen auf 15 Grad Celsius wurde das Material supraleitend.
Laut Hans Rudolf Ott, emeritierter Professor für Festkörperphysik an der ETH Zürich, ist es technisch enorm anspruchsvoll, diese hohen Drücke zu erzeugen. So gesehen sei das ein durchaus beachtenswertes Experiment. «Der Weg zu einem praktischen Nutzen ist aber noch sehr weit», sagt Ott. «Denn sobald man den Druck reduziert, geht die Supraleitung verloren, weil sich die Konstellation der Atome im erzeugten Festkörper verändert.»
Ganz ähnlich beurteilt das der ebenfalls emeritierter Physikprofessor Hugo Keller vom Physik-Institut der Universität Zürich. «Es handelt sich um eine schöne Arbeit. Aber was die Anwendung betrifft, ist es kein Durchbruch», sagt Keller. Denn Anwendungen müssten letztlich ohne Druck stattfinden. «Eine Anwendung der Hochtemperatur-Supraleitung ist nur dann gut, wenn sie besser und günstiger ist als das, was man schon hat. Davon ist man mit den aufwendigen Druckexperimenten noch weit entfernt.»
Raumtemperatur genügt nicht für nutzbare Supraleitung
Studienautor Dias ist etwas optimistischer. «Wir wissen zwar nicht genau, wie viele Kohlenstoff-, Schwefel- und Wasserstoffatome sich im Material befinden und welche Struktur es besitzt», sagt Dias. «Wir entwickeln aber gerade Methoden, um die Struktur zu analysieren. Sobald uns das gelingt, können wir nach Wegen suchen, das Material mit der Methode des ‹compositional tuning› bei Umgebungsdruck aufzubauen.» So liesse sich das Material günstig und in Masse produzieren. Dias und der Co-Autor Ashkan Salamat von der University of Nevada Las Vegas haben jedenfalls schon ein Start-up gegründet, Unearthly Materials, um damit den Weg zu Raumtemperatursupraleitern zu beschreiten.
Allerdings genügt das laut Ott nicht. Selbst ein Material, das bei Raumtemperatur und Normaldruck supraleitend ist, hätte zunächst noch keine praktische Bedeutung. «Denn sobald man etwas damit macht, etwa eine Magnetspule baut, verschwindet die Supraleitung sofort. Wir brauchen daher ein Material, das weit über der Raumtemperatur und bei Normaldruck supraleitend ist, damit es sich tatsächlich anwenden lässt.» Es sei daher völlig offen, ob der nun verfolgte Ansatz mit Wasserstoffhybriden zum Erfolg führe.
Joachim Laukenmann ist Redaktor im Team Wissen. Seine Schwerpunkte sind Physik, Astronomie, Mobilität, Energie und Klimawandel. Er hat Physik studiert und in Kosmologie promoviert. 2008 erhielt er den Alstom Journalistenpreis. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Wissenschaftsjournalismus.
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