King Patsy's Felseninsel
Die sturmumtoste irische Insel Tory Island hat einen König. Er heisst Patsy , trägt keine Krone, sondern eine Fischermütze – und spielt zur Freude seiner 160 Untertanen und der Touristen gern Akkordeon.
«Soll ich Sie mit Majestät anreden? Patsy Dan Rodgers lacht. Der König von Tory Island legt keinen Wert auf Etikette. Der «Herrscher» über 160 Insulaner besitzt keinen Hofstaat und lebt in keinem Palast. Von einer Apanage kann er nur träumen. Und statt einer Krone ziert eine schwarze Fischermütze seinen Charakterkopf. Die Geschichte des «Königreiches» vor der Küste der irischen Grafschaft Donegal reicht angeblich bis in das 6.Jahrhundert zurück. Nach einer Legende soll der Heilige St.Columbcille damals ein Kloster errichtet haben. Aus Dankbarkeit für dessen Hilfe soll er einen Einheimischen namens Duggan zum König des Eilands gekrönt werden, eine Tradition, die bis zum heutigen Tag gepflegt wird.
Wegziehen? «Never!»
Patsys Privatleben bietet keinen Stoff für Tratschgeschichten in der Regenbogenpresse. Für Schlagzeilen sorgte er bisher nur durch sein Engagement für sein kleines Reich, das sich elf Kilometer vom Festland entfernt im Atlantik verliert. Eigentlich wollte die irische Regierung des Königs «Untertanen» von der sturmumtosten Felsinsel evakuieren. Doch ohne Erfolg. Zu sehr sind die meisten der 160 Bewohner mit ihrer Heimat verwurzelt, die bereits in prähistorischer Zeit besiedelt wurde. Ob er sich vorstellen kann, auf dem Festland zu leben? Entschlossen ballt Patsy seine Faust. «Never!», bricht es aus ihm heraus. Während im Hotelpub zum dritten Mal das Lied «King of Hollywood» dudelt, nippt er an seinem Energiedrink und fängt an zu erzählen. Von der tiefen Liebe zu Tory Island und seinem Kampf für das Überleben der Bewohner, die verstreut auf wenigen Quadratkilometern siedeln.
Als sein Vorgänger nach Jahrzehnten die Regentschaft niederlegte, bestimmte er eigentlich seinen Sohn als Nachfolger. Der hatte jedoch keine Lust, und so fiel die Wahl auf Patsy. Der neue King nimmt seine ehrenvolle Aufgabe überaus ernst, denn das Wohl seines Völkchens ist ihm eine Herzensangelegenheit. Ständig wuselt er im Dorf herum, um nach dem Rechten zusehen. Doch über eine wirkliche Macht verfügt Patsy im republikanischen Irland natürlich nicht. Auch seine Untertanen zeigen sich alles andere als unterwürfig. Besucher aus aller Welt sind dem Reiz des von Wiesen und Mooren durchzogenen «Königreiches» schon erlegen. Die rund vier Kilometer lange und bis zu zweieinhalb Kilometer schmale Insel ist ein idealer Ort, um sich zu entspannen. Abwechslung bietet nur das launische Wetter. Faszinierend zu beobachten ist das Spiel des ständig wechselnden Lichts und der schnell dahin fliegenden Wolken.
Zu viele Touristen? Sturm!
Rund 10 000 Touristen setzen jedes Jahr über und helfen, die bescheidenen Finanzen des Dorfes aufzubessern. Ein paar tausend Besucher mehr dürften es sein, glaubt der König. Einen Massentourismus wünscht sich jedoch niemand. Wenn es im Sommer doch mal zu eng wird, dann kündigt er einen Sturm an. Das wirkt. Die meisten Touristen streben dann sogleich dem Hafen zu, um mit der nächsten Fähre nach Bunbeg oder Magheroarty zu entkommen. «Zu oft kann man das natürlich nicht machen», grinst Patsy verschmitzt und wirkt dabei ein bisschen wie der pfiffige Comic-Matrose Popeye.
Bäume? Verboten!
Doch zuweilen braucht er nicht mal zu flunkern. Wenn der berüchtigte Gaelforce mit bis zu 200 Stundenkilometern über den Atlantik tobt, ist die Insel vom Festland abgeschnitten. Der Orkan deckt Dächer ab und reisst Türen aus der Verankerung. Bäume dürfen auf Tory nicht gepflanzt werden, zu gross ist die Gefahr, von einem entwurzelten Stamm getroffen zu werden. Im Winter 1974 wurden die Menschen auf eine besonders harte Probe gestellt. Ganze acht Wochen war die Insel nicht einmal durch Hubschrauber zu erreichen. Der wirtschaftliche Aufschwung des «keltischen Tigers» Irland ist an den meisten Bewohnern des Königreichs Tory fast spurlos vorbeigegangen. Die wenigen Kühe und kleinen Äcker ernähren ihre Besitzer nicht. Auch der Fischfang liegt angesichts der Konkurrenz der modernen Trawler danieder. Und so hängt die Insel am Tropf der irischen Regierung und der EU.
Wenn im Spätjahr die letzten Touristen abreisen, sind die Insulaner wieder unter sich. Viel bleibt dann nicht zu tun. Doch Patsy Dan Rodgers lässt auch im Winter keine Langeweile aufkommen. Als Maler beginnt nun seine produktivste Phase. Zusammen mit drei einheimischen Künstlern betreibt er die «Tory Primitive School of Art». Ihre Bilder, die vor allem Motive ihrer Heimat darstellen, wurden bereits in Chicago, Paris, Edinburgh und Dublin ausgestellt.
Die Samstagnacht stellt für die Insulaner der Höhepunkt des sozialen und kulturellen Lebens dar. Dann füllt sich gegen Mitternacht das Gemeindezentrum, und Patsy spielt zum Tanz auf. Rasend schnell drückt er die Tasten seines Akkordeons und stampft mit seinen schwarzen Schnallenschuhen den Takt, während er cool wie Keith Richard eine Kippe im Mundwinkel balanciert. Eine CD mit traditionellen irischen Liedern hat das Multitalent schon eingespielt.
Bis in den Morgen klingt die Musik über die gespenstisch erleuchtete Dorfstrasse. Das trübe, gelbliche Licht der Laternen taucht die einfachen Häuschen in ein fahles, unwirkliches Licht. In kurzen Abständen bestreicht der Leuchtturm die Insel mit gleissenden Blitzen. Das Rauschen des anbrandenden Meeres vermischt sich mit dem Brummen des Generators, der den Strom für das Dorf liefert. Mit der Sperrstunde sehen es die Bewohner nicht so eng. Hauptsache, alle erscheinen pünktlich zum sonntäglichen Kirchgang, und sei die Nacht auch noch so kurz gewesen.
Kriminalität? Nur im TV!
Nur manchmal schaut ein Sheriff vom Festland herüber, damit es nicht zu anarchisch wird auf dem entlegenen Eiland. Doch auf Dauer ist dieser Job keine echte Herausforderung für Staatsdiener. «Der würde vor lauter Langeweile zu trinken anfangen», da ist sich der einheimische Künstler Anton Meenan sicher. Denn Kriminalität, die kennen die Insulaner nur aus dem Fernsehen.
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