Das Dilemma von Bayern MünchenKimmich – ein Mannschaftssportler übt sich in Egoismus
Eigentlich ist der Leader von Bayern München ein cleverer Kopf – beim Thema Corona muss er aber erst noch lernen, Verantwortung zu übernehmen.

Es ist ein Spiel der Champions League, das schon. Der FC Bayern spielt am Dienstagabend in Kiew um eine Million Euro als Siegprämie und um die Sicherung des Gruppensieges. Julian Nagelsmann steht bei winterlichen Bedingungen an der Seitenlinie, und auf dem Platz steht eine Mannschaft, in der die Spieler noch immer Neuer, Goretzka, Müller, Sané oder Lewandowski heissen.
«Es ist ja nicht so, dass wir mit einer Thekentruppe anreisen», hat Nagelsmann am Vortag gesagt, «das ist noch immer eine sehr, sehr gute Mannschaft.» Und launig, wie er in diesem Moment gerade ist, fügt er bei: Es sei doch auch angenehm, eine kleine Gruppe zu haben, da brauche es im Hotel wenig Gespräche, wer nicht spiele.
Das Aufgebot der Bayern für diesen Match ist arg ausgedünnt, sie haben gerade noch 17 Spieler zusammengebracht. Viele haben daheimbleiben müssen, gleich sieben wegen Corona. CCC heisst die neue Formel der «Bild»-Zeitung für den stolzen Rekordmeister: Corona-Chaos-Club.
Mitte Oktober gewann er 5:1 in Leverkusen, er lieferte eine Machtdemonstration, die eindrücklicher nicht sein konnte. Sechs Tage später schrieb das Boulevardblatt, dass Joshua Kimmich nicht geimpft sei. Seither ist es bei den Bayern nicht mehr ruhig geworden.
Der Rat der Kanzlerin
Ausgerechnet Kimmich nicht geimpft, dieser eigentlich clevere Kopf, der zusammen mit Leon Goretzka im März vergangenen Jahres die Initiative «We Kick Corona» gegründet hat, um Menschen zu helfen, die wegen des Virus in Not geraten sind. 6 Millionen Euro an Spendengeldern haben die beiden bis heute zusammengebracht, sie sind dafür unter anderem mit dem Bayerischen Sportpreis ausgezeichnet worden.
«Weil ich einfach für mich warten will, was Langzeitstudien angeht», sagte Kimmich, um seine Verweigerung gegenüber dem Impfen zu erklären. Ein Mannschaftssportler übte sich in Egoismus. Mediziner schüttelten den Kopf ob dieser Argumentation, selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein. «Vielleicht macht sich Joshua Kimmich darüber ja auch noch Gedanken», sagte sie, «er ist ja als sehr reflektierter Fussballer bekannt.» Kimmich hatte im August seinen Vertrag bis 2025 verlängert und angeblich sein Gehalt auf 20 Millionen Euro verdoppelt. Das Erstaunliche dabei war, dass er die Verhandlungen ohne Berater führte.
Kimmich ist mit seinen 26 ein Leader bei Bayern (und im Nationalteam), jetzt ist er aber auch der Leader der fünf Spieler, die sich nicht impfen lassen wollten – trotz, wie man hört, heftigen Zuredens des Clubarztes. Er fiel deshalb, wie andere Bayern-Spieler auch, jüngst in der WM-Qualifikation gegen Liechtenstein aus. Er musste wegen des Kontakts zu Niklas Süle in Quarantäne, Süle ist zwar doppelt geimpft, hatte aber einen Impfdurchbruch. Bei allem Verständnis für Kimmich sagte Bundestrainer Hansi Flick, impfen sei der einzige Weg aus der Pandemie.
Letzte Woche hat die Diskussion um Kimmich noch einmal eine neue Dimension erhalten. Der Spieler fehlte am Freitag auch in der Bundesliga gegen Augsburg, er musste wegen des Kontakts zu einer infizierten Person wieder in Quarantäne, wie nachher auch die Teamkollegen Gnabry, Musiala, Choupo-Moting und Cuisance.
Die Drohung der Chefs
Am Donnerstag, am Tag vor dem 1:2 in Augsburg, hatte die Führung des Vereins, Präsident Herbert Hainer, Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic, den fünf nicht geimpften Spielern eröffnet, dass das Gehalt für die Dauer der Quarantäne rückwirkend eingezogen und auch bei künftigen Ausfällen nicht bezahlt werde. So schreiben das die «Süddeutsche Zeitung» und «Bild» übereinstimmend. Rechtlich ist ein solcher Lohnabzug in Deutschland zulässig.
Kimmich würde pro Woche rund 300’000 Euro verlieren. Das wäre für einen seiner Lohnklasse verschmerzbar. Eine andere Diskussion wird allerdings auch geführt: ob ungeimpfte Spieler künftig isoliert trainieren müssen und nicht mehr eingesetzt werden. Nagelsmann geht nun nicht ins Detail, wenn er eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Massnahmen bei ungeimpften Spielern andeutet, allerdings stellt er klar: «Ich habe schon den Anspruch, dass sie das verstehen. Es ist auch nicht so schwer zu verstehen.»
Das Thema ist auch in der Mannschaft präsent, weil es zunehmend davon ablenkt, worum es bei ihrem Beruf eigentlich geht. Müller und Neuer sind klare Befürworter einer Impfung, Neuer nennt sie «unabdingbar». Er sei sich seiner Verantwortung bewusst, hat Kimmich zum Thema auch gesagt. Vielleicht sieht er bald ein, was das in diesen Zeiten bedeutet.
Der FC Bayern ist in Kiew keine Thekentruppe. Er gewinnt 2:1 und sichert sich den Gruppensieg. Nach dem Spiel mag Trainer Nagelsmann keine Fragen zum Thema Corona beantworten. «Corona? Dann gehen wir», sagt er, lacht und geht. Dafür erscheint im «Kicker» die Meldung, wonach jetzt Serge Gnabry, der nach seiner Erkrankung als Genesener gegolten hat, und Jamal Musiala ihre erste Impfung erhalten hätten.
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