Sweet Home: Midcentury ArchitekturKennen Sie das Berliner Hansaviertel?
Das Wohnquartier ist wie ein Museum – voller Werke der besten Architekten des Modernismus.

Berlin ist immer eine Architekturreise wert. Gerade jetzt ist es zwar schwierig, aber sie können sich hier schon mal mit dem spannenden Hansaviertel anfreunden und es vielleicht bei Ihrer nächsten möglichen Reise in die deutsche Hauptstadt besuchen. Das Hansaviertel ist so was wie ein echtes Museum der Midcentury-Architektur. Ich habe es letztes Jahr auf einer Pressereise von der Deutschen Zentrale für Tourismus zum 100-jährigen Geburtstag des Bauhauses entdeckt und wollte unbedingt diesen Sommer Berlin mal privat besuchen und alles genauer anschauen. Aber dieses Jahr war kein gutes Jahr für Reisen. Trotzdem haben wir Sehnsucht danach, etwas anderes zu sehen und wenigstens im Kopf auf Erkundungsreise zu gehen. So stelle ich Ihnen hier das Hansaviertel vor, so wie ich es gesehen habe.

Viele Informationen habe ich aus dem kleinen Buch, das ich auf die Schnelle im Büchergeschäft des Quartiers kaufen konnte, bevor uns der kleine Tourbus wieder an einen anderen spannenden Ort fuhr.
Das Buch können Sie auch online kaufen: Hansaviertel Berlin, Architektführer zur Interbau 57.

Bevor berühmte Architekten ihre Werke im Hansaviertel erbauten, standen hier Villen aus der Gründerzeit. Das Gelände hiess bei der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreich «die Schöneberger Wiesen» und war ideal gelegen als herrschaftliches Wohnquartier. Man konnte das Stadtzentrum gut erreichen, die Häuser waren prunkvoll und dem Historismus verpflichtet. Die ersten Immobilienfirmen, die auf den Schöneberger Wiesen bauten, gehörten vorwiegend Hamburger Kaufleuten. Deshalb bekam das Quartier den Namen Hansaviertel und viele der Strassen tragen die Namen berühmter Hamburger Persönlichkeiten.

Bald schon aber nahte das Ende dieses grossbürgerlichen Viertels. Der verlorene erste Weltkrieg, die Abdankung des Kaisers und die Inflation veränderten den Lebensstil des Grossbürgertums stark. 1933 wurden die jüdischen Bewohner, von denen es im Hansaviertel viele gab, von den Nazis vertrieben und viele von ihnen ermordet. Schwere Bombanangriffe zerstörten schlussendlich 1943 das alte Viertel fast komplett.

Nach dem Krieg teilte sich Berlin in zwei Teile und zwei politische Ideologien. Auf beiden Seiten fand der Wiederaufbau statt. Im Osten entstanden postmoderne Prunkbauten und die Stalinallee, im Westen moderner Wohnungsbau und eine Neuplanung des Hansaviertels.

1953 entschied der Westberliner Senat die Planung einer modernen zukunftweisenden Wohnstadt an dem Ort, wo einst die Villen der Gründerzeit standen. Zwar waren noch Teile davon da, aber die Idee des alten Viertels passte nicht mehr in die neue Zeit. Für das neue Projekt wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben und eine grosse Bauausstellung geplant. Sinn der Ausstellung war, dass jeder der eingeladenen Architekten und Landschaftsgestalter eine Einzelaufgabe erhielt und diese als künstlerisches Zeugnis seiner Person und seines Landes zeigen sollte.

Von den ausgewählten 53 Architekten kamen 19 aus dem Ausland, 16 aus Westdeutschland und 18 lebten in Westberlin. Unter den Architekten waren unter anderem Walter Gropius, Oscar Niemeyer, Arne Jacobsen und Le Corbusier. Geprägt vom Bauhaus und des Modernismus, entwickelten sie ihre Wohnkonzepte für moderne Familien – mit emanzipierten, berufstätigen Eltern und heranwachsenden Kindern.

Als Gegensatz zum nationalsozialistischen System der Vergangenheit und zur umliegenden kommunistischen Ideologie, die beide auf Prunkbauten und Repräsentation setzten, sollte das neue Hansaviertel frei und international sein. Das klappte mit locker gestellten Solitärgebäuden und ineinander fliessender, zaunloser Landschaftsgestaltung. Es wurden nicht nur Wohnhäuser geplant, sondern auch eine Kirche, ein Einkaufszentrum, eine Bibliothek, eine Schule, ein U-Bahnhof und eine Akademie der Künste.

Die Akademie der Künste besuchten wir am intensivsten und sahen dabei vieles, was wir von unserem Besuch im Bauhaus gelernt hatten. Gleichzeitig entdeckten wir aber auch einen wunderschönen Ort, der einfach irgendwie perfekt war.

Natürlich war die grosse Treppe, die zum Auditorium führt, anders als die berühmte Treppe vom Bauhaus in Dessau; aber ein bisschen an den berühmten Aufstieg der weltberühmten Schule dachten wir bei deren Anblick trotzdem.

Die Akademie der Künste besteht aus drei Gebäudekomplexen, die über Innenhöfe und verglaste Gänge miteinander verbunden sind. Das Theaterstudio hat einen grossen asymmetrischen Saal, dessen Linienführung mit der Lichtführung unterstützt wird. Die Akademie der Künste war kein Projekt der Bauausstellung Interbau von 1957, sondern wurde von einem in Berlin geborenen Amerikaner gespendet, der den Architekten Werner Düttmann dafür engagierte.

Bei unserem kurzen Besuch im Viertel und in der Akademie habe ich die spezielle Stimmung der Akademie der Künste förmlich aufgesogen. Im Kopf lief bei mir ein ganzes Leben ab und ich stand mittendrin, in der Pause zwischen zwei Akten: in einem coolen roten Fünzigerjahrekleid, ein Cocktail in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen – mit ebenfalls rauchenden Freunden und Fremden das neuste Theaterstück diskutierend, das wir gerade anschauen.

Berlin hat das ganz stark: Die Moderne verbindet sich mit der stets präsenten einzigartigen Geschichte. Das Grossstädtische, das Fremde und auch das Bekannte, das ich aus meinen Kindheitsbildern und den Ideen und Projekten der Zeit in der Kunstschule kenne. Anders als andere grosse Städte wie Paris, London, Mailand, New York und München, die alle eine wichtige Rolle in meinem Leben spielten, kenne ich Berlin eigentlich fast gar nicht. Es zog mich nie dorthin, weil ich ja schon so viele Städtelieben hatte. Aber lieben kann man nie genug und ich freue mich auf die Zeit, in der man wieder unbeschwerter reisen kann. Denn dann geh ich nach Berlin, ins Hansaviertel, in alle Museen und an Orte, die ich noch nicht einmal weiss, dass es sie gibt. Und vielleicht spielt dann ein Theater in der Akademie der Künste. Dann trinke ich einen Cocktail mit Whisky genau hier, in dieser Bar. Und ja, vielleicht kaufe ich mir ein rotes Kleid im Fifties Look!
Weitere «Sweet Home»-Beiträge, die hinaus in die Welt führen:
Ein Ferien-Bijoux in Malans
Fehler gefunden?Jetzt melden.