Bundesrätin am WirtschaftsforumKeller-Sutter redet Bossen ins Gewissen
Zentrale Grundlagen des Schweizer Staats seien gefährdet, warnt die FDP-Bundesrätin die Wirtschaftselite. Darum müssten die CEOs jetzt politisch aktiv werden.

Schweizer Wirtschaftsführer tun zu wenig, um das Schweizer Erfolgsmodell zu bewahren.
Das sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter in einer Rede vor Hunderten von Managern und Unternehmern am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken. Keller-Sutter nutzte ihren Auftritt, um ihrem hochkarätigen Publikum ins Gewissen zu reden.
Viele Wirtschaftsvertreter, so Keller-Sutter, hätten «ein Misstrauen gegenüber der Politik und dem Staat». Manager fänden die Politik «chaotisch, langsam und ineffizient» – und darum hielten sie sich möglichst aus der Politik heraus. Doch diese politische Abstinenz der Wirtschaftselite sei ein Fehler, urteilte die Bundesrätin. Denn die Wirtschaft lebe «von gesellschaftlichen und demokratischen Voraussetzungen», welche von der Politik geprägt würden.
«Politische Geschäfte an die Interessenverbände zu delegieren, reicht je länger, je weniger.»
Der Erfolg der Schweiz basiere auf ihrem «liberal-demokratischen Boden». Und dieser Boden wackle. Der gesellschaftliche Konsens werde «oberflächlicher und brüchiger». Diese Entwicklung – so warnte Keller-Sutter – sei nicht nur schlecht für die Gesellschaft als Ganzes, sondern auch schlecht fürs Geschäft. «Damit Sie als Unternehmen erfolgreich wirtschaften können, müssen die gesellschaftspolitischen Grundlagen stimmen.»
Konzerninitiative als Warnsignal
Mehrere Volksabstimmungen in den letzten Jahren seien «deutliche Warnsignale», sagt Keller-Sutter. Konkret nannte sie die Konzernverantwortungsinitiative, die im November 2020 extrem knapp abgelehnt wurde. Hier habe sich die Wirtschaft zu wenig engagiert. Viele NGOs auf der anderen Seite seien heute oft besser organisiert, aktiver – und sie hätten sogar mehr Geld als die Wirtschaftsverbände.

Früher habe in der Schweiz der Grundsatz gegolten: «Was gut ist für die Wirtschaft, ist gut für die Schweiz.» Doch heute sei das für viele Menschen nicht mehr selbstverständlich. Heute werde «die Wirtschaft» von vielen Bürgern als etwas Abstraktes wahrgenommen, das mit der Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger nichts zu tun habe.
Firmen sind auch Bürger
Darum, forderte Keller-Sutter, müssten die Wirtschaftsführer sich in die politische Debatte einbringen – und ganz besonders gelte das für die CEOs. «Politische Geschäfte an die Interessenverbände zu delegieren, reicht je länger, je weniger», sagte Keller-Sutter. Wenn der Chef selber sich politisch positioniere, habe das auf die Bürgerinnen und Bürger eine ganz andere Wirkung. Eine interne Umfrage des SEF bei den Teilnehmern ergab ein etwas anderes Bild: Nur 36 Prozent gaben an, sich vor Abstimmungen politisch zu positionieren.
Firmen, so meinte Keller-Sutter, müssten sich als Bürger begreifen. Keller-Sutter gebrauchte dafür den englischen Begriff «Corporate Citizen». «Die Wirtschaft aus Fleisch und Blut muss wieder sichtbarer werden.» Nur so könne sie wieder sichtbarer werden als essentieller Teil unserer Gesellschaft.
Keller-Sutter hatte ihre Botschaft sehr gezielt platziert. Laut offizieller Teilnehmerliste des SEF nehmen nicht weniger als 420 CEOs und rund 30 Verwaltungsratspräsidenten an dem Anlass teil. Neben Keller-Sutter trat dort unter anderem auch der aus der Schweiz stammende Nasa-Forschungsdirektor Thomas Zurbuchen auf. Für Donnerstag ist der frühere US-Vizepräsident Mike Pence als Stargast angekündigt.
Doch nicht nur die Chefs selber sollen sich vermehrt engagieren – auch ihren Mitarbeitern sollen sie das politische Engagement ermöglichen, forderte die Justizministerin. In vielen Gemeinden fehle es immer öfter an Milizpolitikerinnen und -politikern. Die Unternehmen sollten Rahmenbedingungen schaffen, damit Amt und Beruf und Familie vereinbar seien, sagte Keller-Sutter. «Wie wäre es, wenn bis 2030 niemandem mehr wegen seiner Arbeit verunmöglicht würde, in der Milizpolitik mitzuwirken?»
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