Unruhe beim FC Bayern MünchenKapitän Kahn befindet sich auf rauer See
Nach einer Karriere voller Siege und Pokale hat Oliver Kahn als Vereinsboss plötzlich ungewohnte Sorgen: Die Spieler laufen davon.

Vor vielen Jahren, als Oliver Kahn noch längst nicht der Geschäftsmann von heute war, sondern ein Torhüter beim Karlsruher SC, da organisierte sein Club ein Benefizspielchen. Amateure sollten gegen Kahn Elfmeter schiessen. Jeder Treffer bedeutete eine Spende. Allerdings kam dabei keine stattliche Summe zusammen, weil Kahn nahezu jeden Ball parierte. Kahn gab sich hin. Seinen Reflexen. Seinem Gespür für den Moment. Und vieles, wenn nicht alles, was den Mann noch heute ausmacht, war da bereits angelegt. Ein unerbittlicher Ehrgeiz. Ein Streben nach Perfektion. Aber auch eine gewisse Begabung, die Welt mit verwunderlichen Taten in Staunen zu versetzen.
Er habe leider nicht gewusst, dass bei dem Spiel Geld für eine gute Sache gesammelt wurde, sagte Kahn Jahre später dazu. Andernfalls hätte er nicht so viele Elfmeter pariert. Die Schützen waren ja Kinder.
Brüllen und Schütteln
Kahn, 52, hat als Fussballprofi eine Karriere titanischen Ausmasses hingelegt. Er ist Europameister geworden und exakt so oft deutscher Meister wie Borussia Dortmund (achtmal); er hat die Champions League gewonnen und beinahe auch die Weltmeisterschaft. All diese Titel hat er aus der Goalieperspektive erlebt. Also auf sich gestellt im Strafraum. Wenn er seinen Mitspielern etwas mitteilen musste, dann bestand seine Kommunikation unweigerlich aus Brüllen und, wenn der unaufmerksame Teamkollege Andreas Herzog noch immer nicht aufwachen wollte, aus strategischem Schütteln.

Weil er seine 14 besten Jahre beim FC Bayern verbracht hatte, war es eine herrliche Idee, diesen Keeper, längst geschult in BWL, dazu innerlich beruhigt nach Jahren des TV-Expertentums an der Seite der ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein, im Vorjahr als gereiften Denker und Lenker zurückzuholen auf die Geschäftsstelle an der Säbener Strasse. Seit 2021 ist er Vorstandschef der FC Bayern München AG. Doch um auf Nummer sicher zu gehen, unterzogen sie ihn zusätzlich einem Lehrjahr, das sie «Onboarding-Prozess» nannten.
Kahn sollte das Schiff kennen lernen, bevor sie ihn als Vorstandschef an das Ruder lassen würden. Schon mal ein bisschen auf Deck stehen und dem Kapitän zusehen. Kahn aber sagte schon am ersten Tag als Entscheider auf der Brücke der «MS Titan»: Woher der Wind weht, wo Luv ist und wo Lee, das bestimme ich ab sofort! Ich, nach Rücksprache mit den vielen Beratern, die ich neuerdings ein und aus gehen lasse beim FC Bayern.
Mehr McKinsey als McUli und McKalle
Zu viele Berater kommen nie gut an, egal ob in der Bundeswehr oder der Bundesliga. Unweigerlich werfen sie die Frage auf, warum derjenige, der sie bestellt, noch benötigt wird. Doch gemeinsam setzten Kahn und seine Einflüsterer das Konzept «FC Bayern AHEAD» auf, ganz bewusst soll es mehr an McKinsey erinnern als an den staubigen McUli und McKalle. Wie liesse sich die Zäsur nach der Ablösung des auch folkloristisch genialen Duetts Uli Hoeness/Kalle Rummenigge plakativer kommunizieren als mit einem klinischen Titel? Auch wenn manche sagen, das Papier müsste «STAY ahead» heissen, denn als Kahn den Verein übernahm, da hatte er soeben sämtliche Pokale gewonnen, die verteilt werden.
Seit bald einem Jahr ongeboardet, befindet sich Kahn auf rauer See. Der einst brüllende Goalie ist als Vermittler gefragt. Weil rund um die Säbener Strasse von gestörter Kommunikation berichtet wird, muss Kahn auch dem Sportvorstand Hasan Salihamidzic helfen, scheinen dem Club doch die Spieler davonzulaufen, als sei er eine Geisterbahn.
Lewandowski will sich zu Barça nörgeln
Es ist ja nicht nur der Stürmer Robert Lewandowski, der sich mit seinen gefühlt täglichen Einlassungen in der «Bild»-Zeitung zum FC Barcelona nörgeln möchte. Es fahren auch Nationalspieler wie Niklas Süle auf der Autobahn zwischen München und Dortmund nach Norden, die von Uli Hoeness einst als Einbahnstrasse Süd errichtet wurde. Und der Weltmeister Corentin Tolisso verzichtete in seinem letzten Spiel für die Bayern auf einen Blumenstrauss, weil er wohl hoffte, er habe noch eine Zukunft im Verein.
Für einen, der Bälle packen konnte wie kein anderer, raunen manche, ist Oliver Kahn gerade fürchterlich schlecht zu greifen.
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