Wochenduell: Erfolgreiches NationalteamKann diese Mannschaft den Weltmeistertitel holen?
Dank einem 4:0 gegen Bulgarien hat sich das Team von Trainer Murat Yakin an die WM gezaubert. Liegt in Katar nun der ganz grosse Coup drin?

Ja: An einem guten Tag ist die Schweiz dazu in der Lage, jeden Gegner zu schlagen, sei es Frankreich, Spanien oder Brasilien.
An der Weltmeisterschaft dabei, Europameister Italien vom ersten Tabellenplatz verdrängt – die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft setzt damit den steten Formanstieg fort, der 2014 an der WM in Brasilien seinen Ursprung nahm. Seitdem war die Schweiz an jedem Grossanlass dabei – und qualifizierte sich darüber hinaus jedes Mal mindestens für den Achtelfinal.
Wer könnte jemals den legendären Achtelfinalsieg gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich an der diesjährigen Europameisterschaft vergessen, bevor man im Viertelfinal dem dreimaligen Europameister Spanien denkbar knapp erst im Elfmeterschiessen unterlag. Und in der Nations League stand die Schweiz 2019 in der Endrunde der besten vier Mannschaften, feierte zuvor in der Gruppenphase einen überragenden 5:2-Erfolg gegen Belgien, dem momentan Führenden in der Fifa-Weltrangliste.
Erfolge gegen Topteams wie Frankreich und Belgien zeigen, dass die Schweiz an einem guten Tag dazu in der Lage ist, jeden Gegner zu schlagen. Wenn es den Schweizern gelingt, an der nächstjährigen WM mehrere dieser Tage einzuziehen, gepaart mit einem Quäntchen Spielglück, dann kann es auch für den ganz grossen Wurf reichen. Die Grundvoraussetzungen für diesen nächsten Schritt sind gegeben – auf dem Platz und an der Seitenlinie.
Denn Nationalmannschafts-Trainer Murat Yakin hat beim Spielermaterial derzeit die Qual der Wahl: Das Kader verfügt in der Breite über eine Qualität wie noch nie. Es ist eine gute Mischung aus jungen, hungrigen Akteuren wie Breel Embolo oder Denis Zakaria und dem altbewährten, etablierten Spielerstamm um Captain Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Yann Sommer, Haris Seferovic und Ricardo Rodriguez.
Trotz mehreren verletzten Stammkräften wie Xhaka oder Seferovic war es dem 47-Jährigen daher möglich, in den entscheidenden WM-Qualifikationsspielen gegen Italien und Bulgarien ein wettbewerbsfähiges Team auf den Platz zu stellen, welches keine Abstriche in der Leistungsfähigkeit erkennen liess. Ein klares Indiz dafür, dass die Spieler niveautechnisch allesamt nahe beieinanderliegen.
Alle Spieler besser zu machen, ist wiederum die Aufgabe des Trainers – und nach derzeitigem Stand scheint sich die Ernennung von Yakin zum neuen Coach des Nationalteams nach dem Abgang von Grundsteinleger Vladimir Petkovic als Glücksgriff zu erweisen. Sein Vertrag wurde mit der erfolgreichen Qualifikation bereits bis 2024 verlängert. Besonders in der Defensive weiss die Mannschaft zu überzeugen – erst zwei Gegentore unter Yakin sprechen eine deutliche Sprache. Und dass für den WM-Gewinn ohnehin kein Offensivfeuerwerk nötig ist, bewies bereits Spanien 2010 mit vier 1:0-Siegen in den K.-o.-Spielen. Daniel Schmidt
Nein: 90 starke Minuten gegen den 70. der Fifa-Weltrangliste, und schon sind die bescheidenen Auftritte gegen Italien und Nordirland vergessen.
Der Schweizer Nationalmannschaft ist in Luzern gegen Bulgarien ein starkes Spiel gelungen. Trotz sieben abwesenden Stammspielern zeigte das Team von Trainer Murat Yakin einen offensiv wuchtigen Auftritt. Und was noch mehr überraschte als der souveräne Sieg und die schön herausgespielten Tore, war das Selbstverständnis der jungen Equipe. Der ehemalige FCB-Spieler Noah Okafor, der das 1:0 kurz nach der Halbzeit erzielte, sagte nach der Partie: «Wir sind ruhig geblieben, haben weitergemacht. Wir wussten: Sobald das erste Tor kommt, wirds einfach. Nach dem 1:0 ist es gelaufen wie am Fliessband.»
Doch nun, nach 90 guten Minuten, kommt die typische Überemotionalität rund um die Schweizer Nationalmannschaft wieder zum Vorschein. Denn bei Journalisten und Experten vor den Bildschirmen, bei den Fans auf den Zuschauerrängen und bei den Spielern auf dem Rasen kippt der Schalter sehr schnell, vom einen Extrem ins andere.
Zur Erinnerung: Bei der EM im Sommer wurden die Spieler des Nationalteams nach dem 1:1 gegen Wales und dem 0:3 gegen Italien aufs Gröbste kritisiert. Und dabei ging es nicht nur um schwache Statistiken und verpasste Chancen, sondern um blondierte Haare und gestochene Tattoos. Diese Zeitung schrieb nach der Klatsche gegen Italien beispielsweise auch: «Vor dem Spiel haben sie gross geredet – und während des Spiels haben sie in allen Belangen versagt.»
Dann murksten sich die Schweizer zu einem 3:1 gegen schwache Türken – und plötzlich war alles wieder möglich. Mit einer Mauertaktik gegen Spanien im Viertelfinal rettete sich die Mannschaft knapp ins Elfmeterschiessen, wo sie dann verlor. Dies war aber unter anderem für den ehemaligen FCB-Stürmer und heutigen Experten Marco Streller genug, um zu fragen: «Wer soll uns in einem Jahr noch stoppen?»
Natürlich haben die Schweizer eine gute Qualifikation für Katar 2022 gezeigt, mit teils schönem Offensivfussball. Doch selbst Trainer Yakin musste zugeben, dass bei den beiden Unentschieden gegen Italien auch «ein wenig Glück» dabei war. Dazu kam ein uninspirierter Auftritt gegen Nordirland (0:0). Und ganz vergessen sollte man bei der jüngsten, überschwänglichen Freude auch nicht: Für die Bulgaren reichts in der Fifa-Weltrangliste zu Platz 70 – immerhin steht man so in der Hierarchie knapp vor den Fussball-Grossmächten Montenegro, Uganda und Oman.
Brasilien, Deutschland, England, Frankreich und Spanien sind unter anderem bereits für die WM im Winter 2022 qualifiziert. Und die Schweizer werden mit ihrer aktuellen Position im Ranking bei der Auslosung wohl in Topf 2 landen, sprich, es geht vermutlich gleich zu Beginn gegen einen Grossen. Bevor also vom Titel geträumt werden darf, muss zuerst die erste hohe Hürde genommen werden: die Gruppenphase. Das könnte schwierig genug werden. Tobias Müller
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen:Müssen sich Profisportler impfen lassen?Braucht es ein Verbot für Gästefans in den Schweizer Stadien? Wird die neue Abseitsregel den Fussball fairer und spannender machen?Ist Tyson Fury der beste Boxer in der Geschichte?Verpasst die Schweiz nach Xhakas Ausfall nun die WM?
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